ERFOLGS- UND EFFIZIENZKRITERIEN ALS LEISTUNGSANREIZ? Ein IAB Diskussionspapier von Helmut Rudolph als Beitrag zum wissenschaftlichen Dialog. Auszüge aus dem Diskussionspapier: “ 1 Einleitung Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II werden von Bund und Kommunen finanziert. Der Bund kommt auf für die Leistungen zum Lebensunterhalt, für Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt und die Verwaltungskosten. Die kommunalen Träger stehen ein für Kosten der Unterkunft und weitere soziale Leistungen zur Eingliederung durch Betreuung und Beratung. Bei der Zuweisung der Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt (aktive Leistungen) ist die Zahl der erwerbsfähigen Bezieher von Leistungen zur Grundsicherung zugrunde zulegen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung andere oder ergänzende Maßstäbe für die Verteilung festlegen. Durch die Eingliederungsmittelverordnung wird bestimmt, dass als ergänzender Maßstab die Grundsicherungsquote bei der Verteilung zu berücksichtigen ist, die aus dem Quotienten der Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und Zahl der zivilen Erwerbspersonen gebildet wird. Die Berücksichtigung der Grundsicherungsquote hat zum Ziel, innerhalb eines vorgegebenen Budgets Kreise mit hohem Problemdruck in der Ausstattung mit Eingliederungsmitteln pro erwerbsfähigem Hilfebedürftigen besser zu stellen als bei niedrigem Problemdruck. Dadurch wird regional höheren Schwierigkeiten der Eingliederung durch bessere Finanzausstattung kompensatorisch Rechnung getragen. Die Formel für die mit dem Problemdruck gewichtete Verteilung der Eingliederungsmittel wurde 2004 vom Autor für das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit entwickelt. Auf der Basis von Schätzungen der regionalen Verteilung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe-Haushalten, die in die Grundsicherung für Arbeitsuchende übergeleitet werden würden, wurde das Verfahren für die Finanzausstattung der Träger im Jahre 2005 implementiert und mit leichter Modifikation 2006 auf Basis der aus dem SGB II verfügbaren BA-Statistiken fortgeführt. Im Frühjahr 2006 erhielt das IAB vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Auftrag zu prüfen, „ob und ggf. in welchem Umfang Kriterien, die den Erfolg der Träger bei der Verminderung oder Beseitigung der Hilfebedürftigkeit von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wiedergeben, bei der Verteilung der Mittel berücksichtigt werden sollten, um einen Anreiz für effiziente Eingliederungsbemühungen zu setzen“. … 2 Mittelindikator mit Problemdruck-Gewichtung Nach § 46(2) SGB II sind die Mittel für Eingliederungsleistungen des Bundes unter Berücksichtigung der Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auf die Träger der Grundsicherung zu verteilen. … Der Verteilungsindikator, der für die Budgetzuteilung der Eingliederungsmittel für die Haushaltsjahre 2005 und 2006 verwendet wurde, berücksichtigt: 1. die Budgetrestriktionen, die sich aus den vom Bund zur Verfügung gestellten Finanzmitteln ergeben 2. eine Problemdruck-Gewichtung mit der Grundsicherungsquote, durch die der Durchschnittsbetrag, der rechnerisch pro Kopf und Jahr für Eingliederungsleistungen zur Verfügung steht, in Abhängigkeit von der regionalen Arbeitsmarktsituation gespreizt wird. Kreise mit über dem Bundesdurchschnitt liegender Grundsicherungsquote erhalten mehr, Kreise mit unterdurchschnittlicher Grundsicherungsquote weniger Mittel pro Kopf 3. die absolute Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, mit der die regional ermittelten Pro-Kopf-Beträge multipliziert werden. Die Formel für den Verteilungsindikator enthält einen politisch festzulegenden Spreizungsparameter, mit dem der Grad der Spreizung der Mittel pro Kopf, also der Abstand zwischen dem Kreis mit höchster und niedrigster Grundsicherungsquote festgelegt wird. Für 2006 wurden die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach der BA-Statistik für Oktober 2005 und die Grundsicherungsquote (Quotient aus erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der Bezugsgröße der Arbeitslosenquote (zivile Erwerbspersonen)) verwendet. … 2.2 Eigenschaften der Verteilungsformel Anders als eine Proportionalverteilung hängt die problemdruckgewichtete Mittelverteilung von der gewählten regionalen Gliederung ab. Die Aggregation einer Verteilung auf Kreisebene zu Bundesländern führt zu anderen Ergebnissen als eine direkte Verteilung auf Ebene der Bundesländer. Ursache ist die Streuung der Grundsicherungsquote in unterschiedlich großen Einheiten. Der Faktor f ist ein zunächst frei wählbarer Wert, mit dem gesteuert werden kann, wie stark die Verteilung von der Proportionalverteilung abweichen soll. Die Größe für f erfordert eine politische Setzung sie ist nicht nach mathematischen Kriterien bestimmbar. Jedoch kann eine politisch vertretbare Wahl des Faktors f heuristisch aus der wünschenswerten Streuung der Mittel pro Kopf zwischen den Kreisen mit höchstem und niedrigstem Problemdruck abgeleitet werden, die für die Kompensation unterschiedlicher Arbeitsmarktlagen für erforderlich gehalten wird. Für f = 0 entspricht die Formel einer Proportionalverteilung. … 3 Berücksichtigung von Erfolg und Effizienz Der Problemdruck gewichtete Verteilungsindikator ist Ergebnis von Überlegungen, den Finanzbedarf der Träger in Abhängigkeit von der Zahl der zu integrierenden Hilfebedürftigen und der lokalen Arbeitsmarktsituation „objektiv“ im Sinne von nachvollziehbaren Kriterien abzubilden. Der Finanzbedarf pro Kopf wird mit steigendem Problemdruck als höher unterstellt. Die Gewichtung intendiert also eine Kompensation für a priori unterstellte geringere/höhere Wirksamkeit der bundesdurchschnittlichen Pro-Kopf-Beträge. Vor diesem Hintergrund wird durch die Problemdruckgewichtung eine Umverteilung von Eingliederungsmitteln nach politischen Kriterien vorgenommen. Darin spiegeln sich Erfahrungen der Vergangenheit, dass Eingliederungserfolge bei schwieriger Arbeitsmarktlage mit höheren Investitionen in Förderung verbunden sind, wie die Arbeitsmarktbilanzen zum SGB III belegen. Demnach sind bei hoher Arbeitslosenquote/Grundsicherungsquote c.p. weniger Eingliederungserfolge bei gleichem Mitteleinsatz zu erreichen als bei niedriger. Bemühungen zur Weiterentwicklung des Verteilungsmechanismus werden geleitet von Überlegungen, neben Bedarfs- auch Erfolgs- oder Effizienzkriterien bei der Verteilung zu berücksichtigen. Dadurch sollen Anreize für die Träger zu einem wirtschaftlichen Einsatz der Mittel gesetzt werden. Die Ausweitung des Verteilungsverfahrens von einer Bedarfsorientierung auf eine zusätzliche Erfolgs- oder Effizienzbewertung erfordert daher eine Klärung des Zusammenhangs von Erfolg und Effizienz mit dem Problemdruck-Indikator, also der Grundsicherungsquote. Die Prämisse des bedarfsorientierten Verteilungsverfahrens ist, dass bei hohem Problemdruck „Erfolge“ seltener oder teuerer sind. Wenn sie nur durch finanziellen Mehraufwand erreicht werden können, sind sie vergleichsweise weniger „effizient“. Der Versuch, beide Ansätze zu kombinieren, führt dann im Extremfall zu einer gegenseitigen Neutralisierung. Unter der Prämisse, das Erfolg und Effizienz im Wesentlichen Funktionen des Arbeitsmarktes sein könnten, müssten im Extremfall die Finanzmittel auf Träger mit günstiger Arbeitsmarktlage konzentriert werden. Kreise mit schlechtem Arbeitsmarkt würden „bestraft“ für ihre ohnehin geringeren Handlungsspielräume. Abgesehen von Akzeptanzproblemen bei Kommunen und Bundesländern mit schlechterer Arbeitsmarktlage würde eine überwiegend erfolgs- und effizienz-orientierte Verteilung einer kompensatorisch angelegten Arbeitsmarktpolitik widersprechen und könnte in Widerspruch zum grundgesetzlichen Auftrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen stehen. Methodisch geht es darum, einen Rückgang des Bedarfs aufgrund einer Verbesserung der regionalen Arbeitsmarktlage, der eine Verringerung der Finanzausstattung zur Folge hätte, von einer Verbesserung zu unterscheiden, die auf erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik und effizientes Handeln zurückzuführen ist und deshalb nicht mit finanziellen Kürzungen bestraft werden sollte. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass Erfolgs- und Effizienzkriterien in einem Umfang aufgenommen werden sollten, der Anreize setzt, aber eine (evtl. modifizierte) bedarfsorientierte Verteilung nicht aushebelt. Vor Konstruktion eines geeigneten Indikators mit Erfolgs- oder Effizienzgewichtung sind daher folgende Fragen zu klären: 1. Wie können Erfolg und Effizienz in Bezug auf den Einsatz der Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik unter den Zielsetzungen des SGB II gemessen werden? Die Statistiken zum SGB II befinden sich noch immer im Aufbau oder sind im Bereich der optierenden Kommunen unvollständig. Entsprechend sind auch die daraus abgeleiteten Controlling-Indikatoren regional unvollständig. 2. Ist der unterstellte Zusammenhang bei der Problemdruckgewichtung richtig: Ist nachweisbar, dass z.B. Kosten pro Integration mit steigendem Problemdruck größer werden? Dazu sind exemplarisch vorliegende Controlling-Indikatoren auszuwerten. 3. Falls die Kosten pro Integration nicht wesentlich vom regionalen Problemdruck abhängen, regional aber stark abweichende Kostensätze festgestellt werden: Ist das wirklich Ausdruck von Effizienz? Oder gibt es erklärende Einflussfaktoren, die in der Aggregation nicht zum Ausdruck kommen? Gibt es Unterschiede in den geförderten Zielgruppen, die zu unterschiedlichem Instrumenten-Mix und damit zu unterschiedlichen Kostenstrukturen führen? Sofern diese Dimensionen nicht berücksichtigt werden, besteht die Gefahr von Fehlanreizen in der Art, dass bestimmte Zielgruppen nicht in Integrationsbemühungen einbezogen werden oder sinnvolle Maßnahmen aus Kostengründen unterbleiben. 3.1 Messung von Erfolg und Effizienz Seit Anfang 2006 stellt die Bundesagentur für Arbeit Controlling-Indikatoren zur Erprobung zur Verfügung, die in einem mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vereinbarten Projekt definiert und auf Basis von Bewerber- und Leistungsdaten aus dem Rechtskreis SGB II programmiert wurden. Qualität und regionale Verfügbarkeit sind noch eingeschränkt. Ihre Eignung für Steuerungszwecke wird erprobt. Ziel ist jedoch, Standards für die Messung von Eingliederungsfortschritten, Erfolg und Effizienz zu setzen. Controlling-Indikatoren Ziel: Verringerung der Hilfebedürftigkeit Indikator: – Summe Passive Leistung Ziel: Verbesserung der Integration in Erwerbstätigkeit Indikator: – Integration – Integrationsfortschritt Ziel: Verbesserung der Eingliederung unter 25-jähriger Indikator: – Integration U25 Ziel: Sicherung des Lebensunterhalts Indikator: – Durchschnittliche Dauer von der Antragstellung bis zur Entscheidung in Tagen Ziel: Steigerung von Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit Indikatoren: – Kosten je Integration ab 2007 – Nachhaltigkeit – Nachhaltigkeit U25 Welche Aspekte der Ziele im Vordergrund stehen und was auf dem Weg der Zielerreichung als Erfolgs- und Effizienzkriterium anzusehen ist, bedarf einer politischen Festlegung, wenn damit Anreize ausgelöst und Budgets verteilt werden sollen. Die bisher verfügbaren bzw. definierten Indikatoren eignen sich jedoch nicht zur Mittelverteilung: Erstens ist bisher nicht erkennbar, wie weit Unterschiede der Indikatoren zwischen Trägern oder im Zeitablauf durch Struktureffekte oder exogene Arbeitsmarkteffekte beeinflusst werden. Zweitens weisen die Indikatoren keinen oder nur einen sehr vermittelten Zusammenhang zum Gesamtaufwand aus. … 3.2 Problemdruck und Erfolg / Effizienz … 3.2.2 Effizienz-Indikator und Grundsicherungsquote Zur Demonstration eines vermuteten Zusammenhangs zwischen Effizienz und regionalem Problemdruck wird mit vorläufigen Daten aus dem BAControlling-Projekt ein Indikator konstruiert. „Integrationen“ als Erfolgsmaßstab sind eine wesentliche Zieldimension des SGB II. Die absolute Anzahl von Integrationen ist jedoch zwischen den Kreisen nicht vergleichbar, da sie u.a. von der Größe des Kreises und der Arbeitsmarktentwicklung abhängen. Als „Effizienz-Indikator“ wird das Verhältnis von benötigtem Aufwand zum erzieltem Ergebnis, also Kosten je Integration definiert. … Es ist zu vermuten, dass der Indikator damit nicht nur von interner „Effizienz“, sondern vielmehr stark von externen Faktoren des Arbeitsmarkts geprägt ist, die zwar den Handlungsrahmen für den Einsatz der Mittel abgeben, aber eher marginal von den Trägern beeinflussbar sind. Eine Belohnung für effiziente Bewirtschaftung des Eingliederungstitels sollte aber nur für interne Effizienz erfolgen und nicht zu einer „Bestrafung“ aufgrund kaum beeinflussbarer externer Faktoren führen. … 5 Folgerungen zur Fortentwicklung des Verteilungsverfahrens Als Ergebnis der vorausgegangenen Überlegungen lässt sich festhalten: … 2. Ein fachlich-politisches Problem besteht in der Abstimmung der Balance zwischen bedarfs- und erfolgsorientierter Mittelverteilung, das methodisch lösbar erscheint, wenn die Steuerung so erfolgt, dass die Bedarfskomponente durch Wahl der Steuerungsparameter größeres Gewicht erhält als die Erfolgskomponente. 3. Das Kernproblem besteht in der politischen Entscheidung über zielkonforme Erfolgs- oder Effizienzmessung und deren Abbildung in Indikatoren, die bei der Mittelverteilung verwendet werden sollen. 4. Zielkonflikte sind denkbar zwischen zentral gewählten Erfolgs- und Effizienzindikatoren und relativer Autonomie der Träger in der Definition von Teilzielen und Umsetzungsstrategien. Dabei ist auch die Kompatibilität zum Zielvereinbarungsprozess abzustimmen. 5. Gegenwärtig gibt es noch Probleme in der flächendeckenden Verfügbarkeit und damit in der Qualität von für die Indikatorbildung geeigneten Daten. 6. Um Anreize bei der Zielerreichung für die Träger zu setzen, sollten die Bewertungs- und damit die Verteilungskriterien vorab bekannt und akzeptiert sein. … 7. Vor einer Einführung eines Erfolgs- oder Effizienz-gesteuerten Verteilungsverfahrens sollten die Punkte 3, 4 und 5 geklärt werden. Strukturelle Beziehungen zwischen vorgesehenen Indikatoren und exogenen Faktoren ihrer Variation wie Grundsicherungsquote, regionale Zusammensetzung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und mehr oder weniger starker Ausrichtung der regionalen Eingliederungsstrategien an arbeitsmarktnahen oder arbeitsmarktfernen Personen sollten zumindest geprüft werden. 8. Eine Weiterentwicklung des bisherigen bedarfsorientierten Verteilungsverfahrens in Bezug auf zeitliche Nähe von ermitteltem Bedarf und Mittelverteilung und in Bezug auf die Spreizung der pro Kopf zur Verfügung gestellten Mittel sollte erwogen werden.“
http://www.iab.de
Quelle: http://doku.iab.de/discussionpapers/2006/dp2606.pdf