IAB-Studie zum Ausbildungsstellenmarkt: Das Problem ist größer als die Lehrstellenlücke

LEHRSTELLENMANGEL ALTERNATIVEN MÜSSEN LÜCKEN SCHLIEßEN Die Studie des IAB stellt die Problematik des Lehrstellenmangels dar. Vor allem ein zunehmender Verdrängungswettbewerb auf dem Lehrstellenmarkt macht die Situation für Hauptschüler immer schwieriger und zusätzliche Förderung immer wichtiger. Auszüge aus dem Bericht von den Autoren Gerhard Engelbrech und Christian Ebner: “ BEWERBER, VERMITTLUNGEN UND „LEHRSTELLENBILANZ“ Die Lehrstellensituation war auch im Ausbildungsjahr 2006 schwierig. … Die Lehrstellenlücke am Ende des Vermittlungsjahres 2006, das heißt die Differenz aus den als nicht vermittelt ausgewiesenen Bewerbern (49.500) und den unbesetzten Lehrstellen (15.500), belief sich auf etwa 34.000. Im Ausbildungsjahr 2005 war die Lehrstellenlücke mit 28.000 noch um etwa 6.000 kleiner. … Mit dem Anstieg der Bewerber erhöhte sich aber auch die Zahl derjenigen, die eine Alternative zur Berufsausbildung suchten bzw. fanden oder „unbekannt verblieben“ waren. Damit wurden mehr als 390.000, also gut jeder zweite Lehrstellenbewerber, nicht in eine Berufsausbildung vermittelt. Neben den 6 Prozent der BA-Bewerber (49.500), die 2006 offiziell als nicht vermittelt ausgewiesen wurden, mündeten weitere 45 Prozent der Bewerber in eine Alternative zur Berufsausbildung ein. Der alternative Verbleib der nicht vermittelten Bewerber muss nicht immer nur eine „second best“-Lösung darstellen. Bei einem Teil derselben konkurriert die duale Ausbildung mit anderen Ausbildungsoptionen. … Würde man alle alternativ verbliebenen Bewerber, die … ihren Vermittlungswunsch aufrechthielten und diejenigen Jugendlichen, die nach intensiver, aber erfolgloser Suche … eine Alternative fanden zu den ausgewiesenen nicht vermittelten Bewerbern hinzu addieren, bekäme man eine Gesamtzahl an nicht befriedigter Ausbildungsplatznachfrage von etwa 160.000 Jugendlichen. Insgesamt war also das tatsächliche Lehrstellendefizit deutlich höher als es die Ausbildungsplatzbilanz zunächst nahelegt. Somit ist eine differenzierte Betrachtung der nicht vermittelten Bewerber erforderlich. … wird für die Betrachtung individueller Einflussfaktoren auf Angaben zum Ausbildungsjahr 2005 zurückgegriffen. … EINFLUSSFAKTOREN AUF DIE INTEGRATION IN AUSBILDUNG … Anhand der BA-Statistiken wird im Folgenden dargestellt, welche Faktoren die Vermittlung begünstigten bzw. verhinderten. Geschlecht Der Anteil der Frauen an den Bewerbern für eine duale Berufsausbildung lag im Ausbildungsjahr 2005 bei nur 46 Prozent. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Frauen zu einem größeren Teil als Männer Ausbildungen in Berufsfachschulen (z.B. Pflegeberufe) und damit nicht innerhalb des dualen Systems absolvieren. Die Vermittlungsquote der Bewerber und Bewerberinnen in eine Lehrstelle war in etwa gleich groß: 50 Prozent der männlichen und 49 Prozent der weiblichen Bewerber mündeten bis zum Ende des Vermittlungsjahres in eine Berufsausbildung ein, und dies, obwohl Bewerberinnen deutlich bessere Schulabschlüsse aufweisen als Bewerber. Qualifikation Insgesamt bildeten Jugendliche mit mittlerem Schulabschluss die größte Gruppe der bei der BA gemeldeten und vermittelten Bewerber. Mit zunehmend höheren Schulabschlüssen seit den 70er Jahren (Hillmert 2004) belegten Hauptschulabsolventen nur noch den zweiten Platz bei den Bewerbern und mit stärkerer Bildungskonkurrenz nahm ihr Anteil bei den vermittelten Jugendlichen zusätzlich ab. Dies führte dazu, dass … nur 43 Prozent mit Hauptschulabschluss von der BA vermittelt wurden – obwohl letztere ein deutlich höheres Interesse an einer dualen Ausbildung haben. … Während Jugendliche mit Hauptschulabschluss den geringsten Vermittlungserfolg aufweisen, zeigte sich bei denen ohne Schulabschluss bzw. aus Förderschulen – zumindest auf den ersten Blick – ein überraschendes Ergebnis: Sie nahmen mit 63 Prozent am häufigsten eine Berufsausbildung auf. Dies ist vor allem auf zwei Phänomene zurückzuführen: Einerseits wurden aufgrund mangelnder Ausbildungsreife vergleichsweise wenige der Jugendlichen ohne Abschluss überhaupt zu Bewerbern. Anders ausgedrückt: Nur die besseren von ihnen treten überhaupt als Bewerber auf den Ausbildungsmarkt. Andererseits war die überdurchschnittliche Aufnahme einer Berufsausbildung auch auf die hohe Förderquote z.B. in überbetrieblichen Einrichtungen zurückzuführen (19% gegenüber insgesamt 6%). Insbesondere bei Hauptschulabsolventen, von denen lediglich gut jeder dritte Bewerber eine nicht geförderte Berufsausbildung aufnahm, wurde die mangelnde Konkurrenzfähigkeit am regulären Lehrstellenmarkt deutlich. Zur stärkeren Integration insbesondere der bildungsbenachteiligten Jugendlichen ist einerseits bei der Qualität der schulischen Bildung und der besseren Vorbereitung auf den Berufseinstieg anzusetzen. Andererseits wird aber auch zu überprüfen sein, inwieweit neben der betrieblichen Ausbildung die Möglichkeiten einer zusätzlichen überbetrieblichen Förderung ausgeschöpft sind. Region Im Ost-West-Vergleich zeigte sich nach einer Erhebung des BiBB, dass mit 62 Prozent mehr ost- als westdeutsche Absolventen (52%) allgemeinbildender und beruflicher Schulen eine duale Ausbildung aufnehmen wollten und dass sie dafür unabhängig von der schulischen Vorbildung beruflich flexibler und regional mobiler agierten. Ostdeutsche Jugendliche wurden trotz der schwierigeren Arbeitsmarktsituation durch überbetriebliche Ausbildung mit 59 Prozent auch tatsächlich erfolgreicher von der BA in eine Berufsausbildung vermittelt als diejenigen aus den alten Bundesländern. Während somit insgesamt jeder sechste ostdeutsche Lehrstellenbewerber in eine außerbetriebliche duale Ausbildung einmündete, spielte die Förderung bei westdeutschen Jugendlichen mit 1 Prozent kaum eine Rolle. Insgesamt mündeten zwar mehr westdeutsche Jugendliche in eine reguläre Berufsausbildung, doch gelang dies auch im Westen noch nicht einmal vier von zehn Bewerbern mit Hauptschulabschluss. Auf Grund dieser niedrigen Vermittlungsquote wäre abzuwägen, ob die nahezu ausschließliche Begrenzung der Förderung auf ostdeutsche Jugendliche aufrechtzuerhalten oder zumindest in strukturschwachen Regionen auch stärker auf die alten Bundesländer auszuweiten ist. … Nationalität Ausländische Jugendliche haben nicht nur nach der Ausbildung größere Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt, sondern bereits beim Übergang in die Berufsausbildung. … Doch konnte im Jahr 2005 lediglich jeder dritte männliche und weibliche ausländische Bewerber vermittelt werden. Für die niedrigere Vermittlungsquote spielte einerseits die etwas geringere schulische Vorbildung ausländischer Bewerber eine erhebliche Rolle. Da sich unter ihnen mehr Hauptschulabsolventen (49% zu 38%) … befanden als bei Deutschen, führte die unterdurchschnittliche Vermittlungsquote bei Hauptschülern zu einem insgesamt niedrigeren Übergang ausländischer Jugendlicher in eine Berufsausbildung. Bedeutsam für die geringere Aufnahme einer dualen Ausbildung war aber auch, dass bei gleichen schulischen Abschlüssen junge Ausländer größere Vermittlungsprobleme hatten als deutsche Bewerber. … Daraus ergeben sich zwei unterschiedliche Ansatzpunkte zur Verbesserung der Voraussetzungen ausländischer Jugendlicher für eine betriebliche Berufsausbildung: Zum einen kann eine verstärkte Förderung von Migrantenkindern bereits während der (Vor-)Schulzeit dazu führen, dass mehr ausländische Jugendliche einen mittleren bzw. höheren Bildungsabschluss erreichen und sie damit konkurrenzfähiger für das duale System werden. Andererseits wäre zu prüfen, inwieweit ausländische Jugendliche stärker bei der Aufnahme einer Berufsausbildung gefördert werden sollten. … ALTERNATIVEN ZUR DUALEN AUSBILDUNG Mit zunehmenden Problemen am Lehrstellenmarkt bekamen in den letzten Jahren Alternativen zur betrieblichen Ausbildung für Jugendliche stärkere Bedeutung. … Neben der Aufnahme einer Nach- oder Weiterqualifizierung suchte aber auch ein zunehmender Teil der nicht vermittelten Jugendlichen ohne Berufsausbildung eine Arbeit oder nach anderen Verbleibsmöglichkeiten. Welche Alternativen sich für Jugendliche jeweils ergaben, war … abhängig vom Geschlecht, von der Vorbildung, der Region und der Nationalität. … FAZIT … Trotz hohem Interesse an betrieblicher Berufsausbildung wurden Hauptschulabsolventen zunehmend von Jugendlichen mit mittlerem Abschluss verdrängt. Bei einer Vermittlung von nur gut einem Drittel aller BA-Bewerber mit Hauptschulabschluss in eine Lehre werden zusätzliche Anstrengungen am regulären, aber auch am staatlich geförderten Ausbildungsstellenmarkt für diese Personengruppe immer dringlicher. … Mit den insgesamt zunehmenden Problemen am Lehrstellenmarkt bekamen Alternativen zur betrieblichen Ausbildung stärkere Bedeutung. … Dennoch orientierte sich ein Fünftel der nicht in eine Lehre eingemündeten Jugendlichen ohne Berufsausbildung unmittelbar am Arbeitsmarkt und nahm eine für den weiteren Berufsverlauf weniger Erfolg versprechende Alternative in Kauf. Dies galt insbesondere für ausländische Jugendliche. Die Notwendigkeit, bereits jetzt zusätzliche Lehrstellen zu schaffen, wird auf mittelfristige Sicht deutlich. Auf Grund der demografischen Entwicklung nimmt die Zahl der für eine betriebliche Ausbildung relevanten Altersgruppe künftig stark ab. Dann besteht die Gefahr, dass es zumindest in Teilbereichen vom Lehrstellen- zum Lehrlingsmangel kommt. Wenn also nicht bereits jetzt Vorsorge getroffen wird, werden dann die erwarteten Engpässe bei Fachkräften und deren Rekrutierung nur noch schwer auszugleichen sein. Es ist an der Zeit, dass sich Betriebe, Staat und Gewerkschaften zusammentun – alle Marktpartner sind gefragt. “ Den Volltext der Studie erhalten Sie unter angegebenem Link. Bitte lesen Sie zur Thematik der Lehrstellenlücke auch die Stellungnahmen der BAG KJS und einiger ihrer Mitgliedsorganisationen vom 16.10.2006 im Archiv. Die Einrichtung von mindestens 50.000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen wird darin vehement gefordert. Politisches Handeln erscheint jetzt notwendiger denje.

http://idw-online.de
http://doku.iab.de/kurzber/2006/kb2806.pdf

Quelle: idw-Pressmitteilung

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