WENN DER SCHUSTER NICHT BEI SEINEM LEISTEN BLEIBT … Auszüge aus dem aktuellen IAB-Kurzbericht von Holger Seibert “ Berufe sind auf dem deutschen Arbeitsmarkt nach wie vor stark gegeneinander abgeschottet – Das spüren vor allem Absolventen, die nach der Ausbildung den erlernten Beruf wechseln. In einem Rückblick auf dreißig Jahre wird hier untersucht, ob und inwieweit sich daran etwas geändert hat. Dies geschieht am Beispiel der Absolventen dualer Ausbildungsgänge. Im Fokus stehen dabei folgende Fragen: Wird der erlernte Beruf nach der Ausbildung heute häufiger gewechselt als früher? Welche Ursachen führen zum Berufswechsel und welche Folgen kann er haben? Sind einzelne Berufsfelder im Vergleich zu anderen offener geworden? Der deutsche Arbeitsmarkt teilt sich … in drei Bereiche: den Jedermannsarbeitsmarkt ohne spezifische Qualifikationsanforderungen an seine Beschäftigten einen betriebsinternen Teilarbeitsmarkt, auf dem betriebsspezifische Qualifikationen nachgefragt werden und ein berufsfachliches Segment, das berufsspezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten verlangt. Man spricht hier von einer vertikalen Segmentierung des Arbeitsmarkts. Neben dieser vertikalen gibt es aber auch eine starke horizontale Gliederung des Arbeitsmarkts nach Berufen. Spezifische berufliche Qualifikationen können in anderen Berufen und Berufsfeldern kaum gewinnbringend verwertet werden. Damit können einmal eingeschlagene Berufswege nur mit zwischenzeitlichen Einbußen verlassen oder korrigiert werden. … In diesem Kurzbericht werden Berufseinstiege von westdeutschen Ausbildungsabsolventen hinsichtlich ihres Verbleibs im erlernten Beruf analysiert. Hierfür werden Daten der Beschäftigtenund Leistungsempfängerhistorik des IAB ausgewertet. Es wird untersucht, ob und in welchem Umfang Berufswechsel zwischen 1977 und 2004 zugenommen haben und welche Auswirkungen dies für die Betroffenen hat. Hitliste der Berufe bleibt nahezu unverändert. Mit den zehn häufigsten Ausbildungsberufen wird das Spektrum der Berufe abgebildet, das Jugendliche hauptsächlich belegen. Bei jungen Männern konzentriert sich etwa die Hälfte aller Auszubildenden in diesen zehn Berufen, bei Frauen sind es sogar über drei Viertel. Dies gilt für Westdeutschland mit einer beachtlichen Konstanz. … Bei den Männern ist in den 2000er Jahren die Ausbildung zum Bankfachmann unter die zehn häufigsten Berufe aufgestiegen. Bürofachkräfte sind von Platz 4 auf Platz 3 aufgestiegen. … Bei den jungen Frauen ist diese Konstanz ebenfalls auszumachen. Allerdings ist eine Verschiebung zu den Gesundheitsberufen zu beobachten: So hat sich der Anteil der Sprechstundenhelferinnen im Vergleich zu den 1980er Jahren fast verdoppelt. Apothekenhelferinnen sind unter die zehn häufigsten Berufe aufgestiegen. Bemerkenswert ist daneben der Rückgang bei den Frisörinnen von 10,5 Prozent (Platz 3) in den 1980ern auf nur noch 5,5 Prozent (Platz 6) in den 2000ern. BERUFSWECHSEL NACH DER AUSBILDUNG Der Verbleib im erlernten Beruf gilt als Indikator für den Erfolg an der zweiten Schwelle. Ausbildungsabsolventen, die beim Berufseinstieg eine Tätigkeit im Ausbildungsberuf finden, können optimal an ihre Lehrzeit anschließen, … In der Vergangenheit ist dies im Durchschnitt etwa 80 Prozent der Ausbildungsabsolventen gelungen. Umgekehrt hat etwa ein Fünftel der Absolventen bei der ersten beruflichen Tätigkeit den Ausbildungsberuf verlassen. Dieser Anteil ist bei den Männern seit den 1970er Jahren von ca. 18 Prozent auf 2 6 Prozent (2004) gestiegen. … Bei den Frauen ist der Anteil der Berufswechsler von 18,6 Prozent (1977) auf 16,3 Prozent (2004) gesunken. Die Konjunkturschwankungen machen sich bei den Frauen weniger deutlich bemerkbar. … NICHTÜBERNAHME UND ARBEITSLOSIGKEIT FÜHREN HÄUFIG ZUM BERUFSWECHSEL … Häufig verursacht die Nichtübernahme durch den Ausbildungsbetrieb eine anschließende Arbeitslosigkeit. … so zeigt sich, dass Betriebswechsler deutlich häufiger den Ausbildungsberuf verlassen als übernommene Absolventen. Werden nicht übernommene Absolventen zusätzlich arbeitslos, so verlassen sie mit einer noch höheren Wahrscheinlichkeit den erlernten Beruf. … Bei Betriebswechslern mit Arbeitslosigkeitserfahrung sind es deutlich über 50 Prozent (die keine Tätigkeit im erlernten Beruf finden). Werden Absolventen hingegen vom Ausbildungsbetrieb übernommen, wechseln nur zwischen 10 und 15 Prozent der Männer den Beruf. Bei Frauen liegt die Berufswechselquote sogar relativ konstant unter 10 Prozent … Was die Berufswechselanteile Berufswechselanteile der nicht übernommen Frauen angeht, so liegen sie bei denjenigen ohne Arbeitslosigkeit zwischen knapp 40 Prozent (1977) und 2 5 Prozent (2004). Bei den weiblichen Absolventen mit Arbeitslosigkeitserfahrung variieren die Werte zwischen knapp 50 Prozent (1977) und gut 40 Prozent (2004). WECHSELHÄUFIGKEIT HÄNGT AUCH VOM BERUF AB Neben Betriebswechsel und Arbeitslosigkeit wird die Wechselwahrscheinlichkeit aber auch in hohem Maße vom erlernten Beruf selbst bestimmt. … Einerseits sind die verschiedenen Berufe in unterschiedlichem Maße offen bzw. geschlossen im Sinne einer inhaltlichen Verwandtschaft oder Nähe. Grundsätzlich kann man sagen, dass kaufmännische und Dienstleistungsberufe untereinander durchlässiger sind als gewerbliche. … Ist die Ausbildung eher kostenintensiv und auf die Befriedigung des Fachkräftebedarfs des jeweiligen Betriebs ausgerichtet, wird bedarfsgerecht ausgebildet und damit das Berufswechselrisiko von vornherein minimiert. … Zunächst erkennt man deutlich das unterschiedliche Niveau der Wechselwahrscheinlichkeit je nach erlerntem Beruf. So weisen Bankfachleute die geringsten Wechselraten auf, Groß- und Einzelhandelskaufleute die höchsten. Das heißt nun aber nicht zwangsläufig, dass die Ausbildung zum/zur Groß- und Einzelhandelskaufmann/-frau (Berufscode 681) überdurchschnittlich häufig in ausbildungsfremde Tätigkeiten führen würde. … Vergleicht man die Wechselanteile im Zeitverlauf, so zeigt sich, dass es nur wenige Berufe gibt, in denen sich die Berufswechselwahrscheinlichkeit in den vergangenen 20 Jahren nicht verändert hat. Dies ist unter den hier betrachteten Berufen nur bei den Bankfachleuten, den Apothekenhelferinnen und den Maschinen-/ Motorenschlossern der Fall. …Eine qualifizierte berufliche Stellung kann als Erfolgsindikator für die Arbeitsmarktpositonierung von Ausbildungsabsolventen angesehen werden. Sind Ausbildungsabsolventen hingegen als Un- und Angelernte tätig, so gelten sie als ausbildungsinadäquat beschäftigt. … Daher werden im Folgenden nur Männer in Arbeiterberufen ausgewertet, um das Ausmaß an ausbildungsinadäquater Beschäftigung einzuschätzen. … zeigt sich, dass Absolventen ohne Berufswechsel das geringste Risiko aufweisen, nach der Ausbildung inadäuqat beschäftigt zu werden. Dieses Risiko steigt im Falle eines Berufswechsels mit abnehmender inhaltlicher Nähe zwischen erlerntem und ausgeübtem Beruf. In der zeitlichen Entwicklung fällt auf, dass unterwertige Beschäftigung nach der Ausbildung seit Ende der 1990er Jahre deutlich zugenommen hat – und zwar unabhängig davon, ob der Ausbildungsberuf verlassen wird oder nicht. … DER SCHUSTER BLEIBT BEI SEINEM LEISTEN … dass sich das Ausbildungsspektrum im Beobachtungszeitraum nur unwesentlich verändert hat. Ausbildungsberufe, die schon vor 20 Jahren zu den zehn häufigsten zählten, sind auch heute noch fast unverändert gefragt. … Bei den jungen Männern ist der Anteil der Berufswechsler zwischen 1977 und 2004 gestiegen. Bei den jungen Frauen dagegen hat der Anteil abgenommen, insbesondere im Vergleich zu den 1980er Jahren. … Jugendliche, die vom Ausbildungsbetrieb nicht übernommen werden, verlassen mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit den erlernten Beruf als übernommene Absolventen. Ist die Nichtübernahme mit Arbeitslosigkeit gepaart, so entwertet jeder weitere Monat in Arbeitslosigkeit den Abschluss zunehmend, da erlernte Fähigkeiten nicht angewendet werden können. Die Wahrscheinlichkeit eines Berufswechsels steigt damit weiter an. … Bei den beobachteten berufsspezifischen Wechselwahrscheinlichkeiten zeigt sich aber, dass sie sich in der Zeit verändern. Es gibt also durchaus einiges an Dynamik hinsichtlich der Abgrenzung der Berufssegmente. Jedoch scheinen die Beharrungsmomente zu überwiegen. “
http://www.iab.de
Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA Kurzbericht Nr. 1/2007
Dokumente: Berufswechsel_IAB.pdf