Einfache Wege für schwierige Jugendliche?

DOKUMENTATION EINES EXPERTENGESPRÄCHS Die Kolping Jugendberufshilfe und das Good Practice Center im BiBB veranstalteten letzten Herbst ein Expertengespräch. In dem Fachgespräch wurden die beruflichen Möglichkeiten von benachteiligten jungen Menschen diskutiert. In einem moderierten Gespräch standen sich zwei Gruppen gegenüber: 1. Experten aus der Jugendberufshilfe mit vielfältigen Erfahrungen aus der Jugendberufshilfe 2. Bildungsexperten mit thematischen Erkenntnissen aus Forschung und Praxis Die Experten sollten jeweils ein kurzes Statement zur persönlichen Einschätzung der beruflichen Situation der Jugendlichen im Übergang Schule – Arbeitswelt vorbereiten. Die Basis dafür bildete die Frage: „Sind einfache Wege geeignet für schwierige Jugendliche?“ Die fachlichen Inputs der Bildungsexperten sollten dazu dienen, einen Aspekt der beruflichen Bildung von benachteiligten jungen Menschen im Übergang Schule – Arbeitswelt besonders zu beleuchten: „Sind einfache Wege geeignet für schwierige Jugendliche?“ Auszüge aus der jetzt veröffentlichten Dokumentation: “ * DIE THESEN DES FACHGESPRÄCHS 1. Grundlagen • Ausbildungsberufe sind flexibel auf die betriebliche Praxis und die unterschiedliche Begabung der Menschen auszurichten. • Jeder und jede Jugendliche soll das Abschlussniveau erreichen können, dass seinen/ihren Fähigkeiten am ehesten entspricht. • Durch die Beschränkung der Ausbildung auf die Vermittlung von beruflichen Basisqualifikationen werden kaum übergreifende Fähigkeiten und Schlüsselqualifikationen entwickelt. 2. Positionen • Viele Ausbildungsordnungen sind heute so anspruchsvoll, dass Jugendliche mit oder ohne Hauptschul-Abschluss den Ausbildungserfolg nicht erreichen werden. • Hauptschüler, weniger ausdauernde oder eher praktisch begabte junge Menschen bleiben bei der Jagd auf einen Ausbildungsplatz ohne Erfolg. • Mit neuen 2-jährigen Ausbildungsberufen werden keine zusätzlichen Ausbildungspotentiale erschlossen. • Das Konzept der Schaffung von Einfachberufen steht dem Trend zur Höherqualifizierung und den ihm zugrunde liegenden Veränderungen entgegen. 3. Herausforderungen • Die Lehrlingsausbildung ist für Unternehmen so unattraktiv geworden, dass Lösungen außerhalb oder zusätzlich zur Berufsausbildung gesucht werden. • Die Verkürzung von Ausbildungszeiten und -inhalten sowie das Absenken des Qualifikationsniveaus haben Konsequenzen für das Berufskonzept. • In der Regel mangelt es an Anrechenbarkeit zwischen den verschiedenen Qualifikationen und unterschiedlichen Lernorten. * EINLEITENDE WORTE Das Umfeld, in dem sich Jugendliche heute bewegen, wird an vielen Stellen bildungs- und arbeitsmarktpolitisch debattiert. Es werden Modelle zu Verbesserung der Gesamtsituation gesucht. Stichworte, die aktuell genannt werden können, sind: • Strukturinitiative des BMBF „Innovationskreis berufliche Bildung“, vor allem AG Übergangsmanagement • Herrmann-Schmidt-Preis 2006 • BIBB: Hauptausschussvorlage • Erneute Modularisierungsdebatte • Alternierende Ausbildung an verschiedenen Lernorten • Einstiegsqualifizierung • u.a. Die hohe Bedeutung des Themas spiegelt sich auch in den verschiedensten Untersuchungen und der Beschäftigung mit dem Thema aus verschiedenen Blickwinkeln wider. Der Titel der Veranstaltung kann ganz unterschiedliche Gedanken und Assoziationen beim Betrachtenden auslösen. Die Eindrücke erstrecken sich über: • Schwierige Wege für schwierige Jugendliche • Maßnahmedschungel • Wie erfolgreich sind die 2jährigen Berufe • Wie wird die Zielgruppe informiert? • Was heißt einfach? Bezieht sich das auf inhaltliche oder strukturelle Aspekte? • Sind die Angebote generell für die Zielgruppe geeignet? • Aus welcher Brille soll das Thema beleuchtet werden? Bildungspolitisch oder sozialpolitisch? Klar ist, dass „zweijährige Berufe“ oder „modulare Ausbildung“ nicht die Gretchenfrage ist. Vielmehr sind die Rahmenbedingungen entscheidend. In Deutschland wird daraus meist eine Grundsatzfrage gemacht, die immer wieder in der Diskussion von Prinzipien endet. Dagegen wird in vielen anderen Ländern wie z.B. der Schweiz weitaus stärker nach pragmatischen Lösungen gesucht. Es bleibt zu hoffen, dass die Handlungsempfehlungen des BQF-Programms hier einen positiven Schritt in die richtige Richtung bewirken. … * SITUATION DER BETIRBE Frau Gruber, Forschungsinstitut Betriebliche Bildung Beruflichkeit im Niederqualifikationsbereich – Segmentierung der Arbeit – Einfache Arbeit im Wandel Zweijährige Ausbildungsberufe im Allgemeinen und der neue zweijährige Ausbildungsberuf des Maschinen- und Anlagenführers im Besonderen werden nicht nur von Befürwortern ausschließlich höher qualifizierter Ausbildungen kritisiert. Ein weiteres Argument gegen eine zweijährige qualifizierte Ausbildung ist, dass an- und ungelernte Kräfte die entsprechenden Arbeitsaufgaben ebenso gut ausführen könnten – so wie es bislang üblich war. Für Arbeitsplätze im unteren Segment von Facharbeit sei kein neuer Ausbildungsberuf mit fachspezifischem Berufsbild erforderlich, vielmehr genüge es, die Mitarbeiter betriebsspezifisch zu qualifizieren. Beruflichkeit im Niederqualifikationssektor sei somit nicht notwendig. Einfache Arbeit im Wandel – Segmentierung von Arbeit Die auf der Seite des Arbeitssystems zu erkennenden Segmentierungstendenzen stellen das Berufsbildungssystem vor neue Herausforderungen. Der Trend zur Höherqualifizierung ist zwar ungebrochen, aber differenziert zu betrachten. Segmentierung von Arbeit ist auf verschiedenen Ebenen zu erkennen: auf dem Feld der einfachen Arbeit zeichnet sich ein Tätigkeitssegment ab, was komplexere Fähigkeiten erfordert und erweitertes Wissen voraussetzt. Dieses Segment lässt sich nun der Facharbeit zuordnen, wenn auch nicht auf dem Niveau, welches eine dreieinhalbjährige Ausbildung erfordert. Gleichzeitig lässt sich im Bereich der Facharbeit neben der Tendenz der steigenden Anforderungsniveaus eine gegenläufige Tendenz zur „Retaylorisierung“, d. h. zur Rückführung von Facharbeitertätigkeit in Tätigkeiten mit weniger komplexen Anforderungen, beobachten, die jedoch weiterhin eine breite Grundqualifikation erforderlich machen. … Berufsfähigkeit Auch einfachere berufliche Tätigkeit setzt voraus, dass Ausbildung berufliche Handlungsfähigkeit vermittelt. Eine Mindestausbildungsdauer stellt eine Qualitätsgarantie dar, sofern sie inhaltlich begründet und nicht nur formal gedacht ist. Berufsfähigkeit ist dann hergestellt, wenn berufliche Mindestqualifikationen vermittelt werden, die für alle Absolventen gleich sind und die zukünftigen Mitarbeiter dazu befähigen, eine qualifizierte Berufstätigkeit auszuüben. Aus diesem Grund kommt die Arbeitsgruppe Aus- und Weiterbildung im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit (Strukturelle Weiterentwicklung der dualen Berufsausbildung – Gemeinsame Grundlagen und Orientierungen, Beschluss vom 22. Oktober 1999 II Ziffern 3.2 und 3.3) zu dem Schluss, dass die Verwertbarkeit von Berufsausbildung nicht an ihrer Dauer gemessen werden kann. Sie entscheide sich vielmehr daran, wie viel Zeit wirklich notwendig sei, um die erforderlichen Berufskompetenzen für einen bestimmten Beruf zu erlernen, einzuüben und zu beherrschen. Folgen wir dieser Überlegung, entscheidet sich die Zeitdauer einer Ausbildung nicht daran, ob sie eher theoretische oder eher praktische Inhalte vermittelt. Erkenntnisse und Diskussion Als wesentliche Erkenntnisse wurden zusammengefasst: • Der Beruf ist im unteren Bereich der Qualifikation angelegt – zu schwierig für An- und Ungelernte. • Der Beruf Maschinen- und Anlagenführer schließt eine Lücke. • Es handelt sich um keine Schmalspurausbildung. Im 1. Ausbildungsjahr findet eine Metallgrundausbildung statt. Im 2. Jahr wird auf eine betriebsspezifische Einsatzvielfältigkeit bestimmt. • Ein gutes Drittel An- und Ungelernte werden durch diesen 2jährigen Ausbildungsberuf ersetzt. • 1,4% der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss beginnen die Ausbildung. Es handelt sich um einen Beruf für schwierige Jugendliche – Eine Zunahme an Ausbildungsplätzen ist zu verzeichnen, die ziemlich einmalig ist. Einsatzmöglichkeiten gibt es im Lebensmittel-, Elektro-, Kunststoff-, Metall- und Textil-Bereich. Anschlussberufe ergeben sich aus den Branchen. In der anschließenden Diskussion wurden die folgenden Fragestellungen in den Raum gestellt. • Sind Jugendliche mit qualifiziertem Abschluss nicht eher Zielgruppe für den Vollqualifizierenden 3-jährigen Ausbildungsweg? • Handelt es sich um eine Möglichkeit für Betriebe sich günstige Arbeitnehmer mit einer Grundlagenqualifizierung zu sichern? An- und Ungelernte haben Möglichkeiten über entsprechende Qualifizierung und zusätzliche Maßnahmen diesen Beruf zu erlernen. • Warum ergriffen Jugendliche diesen Beruf? Wollen sie eine andere Chance? Erkenntnis: Im Laufe der Ausbildung haben Jugendliche entschieden, dabei zu bleiben. Bei eher wenigen war eine 2jährige Ausbildung expliziter Wunsch. • Was war die Motivation der Betriebe, diesen Beruf anzubieten? o Passgenauigkeit o Höhere Arbeitszufriedenheit o Jugendlichen die sonst keine Chance haben, eine bieten o Neue Ausbildungsbetriebe konnten genommen werden, da viele Spezialisierungsmöglichkeiten gegeben sind … * DER ARBEITSMARKT FÜR EINFACHE BERUFE – TÄTIGKEITS- UND AUSBILDUNGSFELDER FÜR EIN VERNACHLÄSSIGTES ARBEITSMARKTSEGMENT Kurt Vogeler, Economix Research & Consulting Drei Gründe sprechen für ein Nachdenken über den Arbeitsmarkt für einfache Berufe: • Die hohe Arbeitslosigkeit unter gering qualifizierten Beschäftigten, • der Verdrängungsmechanismus durch ausgebildete Arbeitskräfte in einfachen Berufen, der Nicht-Ausgebildeten nur wenige Chancen lässt, • die Notwendigkeit zur Integration schlecht oder falsch ausgebildeter Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund. Es ist daher ein ernst zu nehmendes Problem, dass der Arbeitsmarkt für einfache Berufe durch die Steigerung der Bildungsansprüche und durch hohe Lohnkosten ausgetrocknet wurde. Es überrascht auch nicht, dass Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern nur geringe Fortschritte bei der Steigerung der Bildungsquoten unter Jugendlichen erzielen konnte. Auch wenn einfache Jobs durch Verlagerung ins Ausland und durch Rationalisierung verschwinden, rechnen Prognosen damit, dass auch in zehn Jahren noch ein Drittel der Arbeitsplätze für Hilfstätigkeiten oder einfache Fachtätigkeiten vorgesehen sein wird. Die einfache Arbeit wird sich allerdings von der industriellen Serienfertigung lösen und zunehmen auf Dienstleistungen im handwerklichen, persönlichen, kulturellen oder sozialen Bereich beziehen. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Arbeitsplätze für einfache Tätigkeiten in erheblichem Umfang durch Arbeitskräfte mit dualer Ausbildung besetzt werden. Dies ist nicht nur eine Fehlallokation in der Ausbildung, sondern weist darauf hin, wie stark formale Ausbildungsabschlüsse die Chancen auf einen Arbeitsplatz bestimmen. Eine vereinfachte, arbeitsplatzgerechte Ausbildung kann daher die Arbeitslosigkeit in einfachen Berufen senken. Die Überlegungen, die Arbeitsmarktchancen von praxisbegabten oder lernbehinderten Jugendlichen durch eine vereinfachte, theorie reduzierte oder verkürzte berufliche Ausbildung zu verbessern, haben daher durchaus Aussicht auf Erfolg. Nach unseren Berechnungen könnte es gelingen, die Quote der Ungelernten von derzeit 14 % auf 12 % zu senken. Solche Ausbildungsfelder liegen in Tätigkeitsfeldern wie Monatage, Reparatur und Wartung, Betreuung und Pflege, sowie Organisation, Freizeit, Logistik. In vielen dieser Felder werden leistungsfähige und kompetente Mitarbeiter benötigt, aber auf einem vergleichsweise niedrigen Anspruchsniveau. Die Konzepte für eine stärkere Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen müssen vielfältig sein, wie die Ursachen für den Drop-Out. Die Stärkung der Basiskompetenzen in den Grundschulen ist ebenso erforderlich wie die Modularisierung der Ausbildungswege. Eine Verkürzung der Ausbildungswege würde auch der Tatsache gerecht werden, dass sich die Innovationszyklen verkürzen. Lernen ist eine Lebensaufgabe, und es kommt darauf an, den Jugendlichen den Zugang zum Wissen zu eröffnen, ihre Fähigkeit zum selbständigen Lernen zu fördern. … * QUALIFIZIERUNGSBAUSTEINE – EIN EINFACHER WEG ZUR BERUFLICHEN QUALIFIZIERUNG IM ÜBERGANG SCHULE – ARBEITSWELT? Britta Reitz, Good Practice Center im BiBB … Vorteile und Nachteile des Qualifizierungskonzeptes „Qualifizierungsbaustein“ Die folgende Analyse bezieht sich auf den Einsatz im Betrieb mit erfolgreichem Anschluss durch „Ausbildung“, aber auch ohne weitere Qualifizierung. Sicht der Jugendlichen Vorteile: • Individuelle Leistungsbeurteilung entsprechend dem individuellen Leistungsstand des Jugendlichen • Vorweisbare Zertifikate für absolvierte Teilqualifikationen • Qualifizierungsbausteine fördern eine verbesserte und intensivere Orientierung auf die fachlichen Anforderungen in Betrieben und einer Ausbildung im dualen System • Die Möglichkeit der Anrechnung der �Überbrückungszeit’ auf die Ausbildung verkürzt die �Warteschleifen’ benachteiligter junger Menschen. Nachteile: • Der Aspekt der �Qualifizierung’ bekommt einen enormen Stellenwert, so dass die sozialpädagogische Unterstützung zu kurz kommen kann. Es bleibt wenig Zeit, um die persönliche Weiterentwicklung zu fördern. • Die Auslegung des Gesetzes hat zu einem sehr breiten Spielraum geführt. Es werden auch Qualifizierungsbausteine ohne Bezug zur genannten Zielgruppe entwickelt. Sicht der Betriebe Vorteile: • Neben schulischen Zeugnissen nachweisbare Fähigkeiten mit offiziellem Charakter • Vorqualifizierung bzw. Basisqualifizierung, Betrieb fängt nicht bei „Null“ an, die Jugendlichen können im Betriebsablauf schnell „produktiv“ eingesetzt werden • Gezielte Qualifizierung in fest abgegrenzten Zeitraum möglich: Nicht gesamte Ausbildungszeit abdecken Nachteile: • Die Abgrenzung von Berufsausbildungsvorbereitung zur Ausbildung wird immer schwieriger. • Berufsausbildungsvorbereitung kann als unzureichende Ersatzfunktion zu einer Ausbildung aufgefasst werden. • Die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes hat neue alternative Wege für Betriebe geschaffen, sich zusätzlich oder ergänzend bei der beruflichen Qualifizierung der Jugendlichen mit Förderbedarf zu engagieren und diese mit Hilfe von Qualifizierungsbausteinen gezielt zu fördern. Dies kann sich negativ auf die Ausbildungsbereitschaft von Betrieben auswirken, da diese neben den Auszubildenden nun zusätzlich auch Praktikanten intensiv betreuen müssen. Resümee: Was leisten Qualifizierungsbausteine? • Qualifizierungsbausteine bieten die Möglichkeit, jenseits einer Ausbildung bereits frühzeitig zu qualifizieren • sie eröffnen weitere Optionen und lassen immer den Weg zur Ausbildung offen • Absolventen können gut gerüstet in eine Ausbildung gehen Qualifizierungsbausteine eröffnen aus meiner Sicht zwei Wege: • Verbesserung der Vermittlungschancen in Ausbildung bzw. Arbeit • Alternativer Weg zur beruflichen Qualifizierung Qualifizierungsbausteine können als Brücken verstanden werden zwischen dem bestehenden Spannungsfeld „Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf“ und „Beschäftigungsfähigkeit“. Qualifizierungsbausteine sind darüber hinaus eingebettet in eine sozialpädagogische Förderung: „Fürs Leben lernen, die Persönlichkeitsentwicklung stärken“. … * STATEMENT Dr. Stephanie Odenwald, GEW … 2. Gewerkschaftliche Zielorientierung: Integration statt Ausgrenzung Wenn das Ausbildungssystem weiter jeden zweiten Bewerber ausschließt, wird der Berg der Altbewerber Jahr für Jahr größer und größer. Schon jetzt lässt sich errechnen, dass etwa 1,5 Millionen der unter 25-Jährigen keine Ausbildung haben. Ohne Ausbildung sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt denkbar gering. Die Folge ist gesellschaftliche Ausgrenzung. Zu welchem Horrorszenario soll das führen, wenn Millionen davon betroffen sind? … In einen Gesellschaftsvertrag für das 21. Jahrhundert gehört das Recht auf umfassende Bildung als wesentliche Voraussetzung für ein selbständiges Leben, gemäß den Menschenrechten für Bildung und Arbeit. Erforderlich ist ein Grundkonsens aller gesellschaftlichen Kräfte, dass alle Jugendliche nach dem Abschluss der allgemeinbildenden Schule eine Ausbildung beginnen, auch wenn sie oder er bestimmte Schwächen hat, z.B. in der Sprachkompetenz, im mathematischen Verständnis oder im sozialen Verhalten. … Ein solcher Grundkonsens ist die Voraussetzung für eine nachhaltige Lösung der Ausbildungskrise … 3. Lösungsvorschläge für die Ausbildungskrise „Keinen ausgrenzen – niemanden zurücklassen“ ist der Leitgedanke für gewerkschaftliche Bildungspolitik. In der allgemeinbildenden Schule müssen für alle Jugendlichen bessere Voraussetzungen für den Übergang in den Beruf geschaffen werden. Eine intensive Berufsorientierung und Beratung muss gewährleistet werden. Für benachteiligte Jugendliche mit großen Lernschwierigkeiten sind berufsvorbereitende Maßnahmen sinnvoll, die auf eine Ausbildung angerechnet werden können (wie die im neuen Förderkonzept der BA vorgesehenen Qualifikationsbausteine). Um Ausbildungsplätze für alle zu schaffen, muss das duale System der Berufsausbildung systematisch ergänzt werden. … Vielmehr wird eine Lösung der Ausbildungskrise nur dann erreicht, wenn die verschiedenen Alternativen in dem erforderlichen Umfang realisiert werden. Die bisherigen Ansätze müssen also ausgebaut werden. … – Unternehmen, die sich zu einer Verbundausbildung zusammenschließen, außerbetriebliche Träger von beruflicher Ausbildung, die z.T. mit Unternehmen kooperieren – Berufliche Schulen, die vollqualifizierende Ausbildungsgänge anbieten und in Zusammenarbeit mit den Unternehmen für die nötigen Praxisanteile sorgen. Das novellierte Berufsbildungsgesetz hat die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, vollqualifizierende Ausbildung mit Kammerprüfung als außerbetriebliche Ausbildung zu realisieren (s. § 43, 2 BBiG). Das kann nur verwirklicht werden, wenn auch die Mittel zur Verfügung gestellt werden. … Jedoch reichen Notprogramme nicht aus, sondern es bedarf einer systematischen Ergänzung des dualen Ausbildungssystems. … Es ist auch unter dem finanziellen Aspekt sinnvoll, Warteschleifen zu vermeiden und von Beginn an für eine vollqualifizierende Ausbildung zu sorgen. Die Umlagefinanzierung, die als Gesetzesvorhaben der damaligen rot-grünen Regierung zugunsten des Ausbildungspaktes fallengelassen wurde, ist nach wie vor eine gewerkschaftliche Forderung. Wer nicht ausbildet, soll zahlen. Durch einen Ausbildungsfonds, der für die Finanzierung des Gesamtsystems der Ausbildung zur Verfügung steht, würde im Vergleich zum Ausbildungspakt eine gerechtere Lösung geschaffen, da alle Unternehmen beteiligt wären und gegebenenfalls bei hohen Ausbildungszahlen ein Ausgleich bezahlt werden könnte. … * ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK • Im Qualifizierungsbereich insbesondere geht es um die Förderung der Schlüsselqualifikationen. Die Kompetenzen der Jugendlichen müssen freigelegt und gefördert werden. Wichtig ist die passgenaue Vermittlung. Dieser aufwändige Prozess beinhaltete einen Kompetenzcheck mit entsprechendem Vorlauf und benötigt eine regionale Vernetzung. In den Einrichtungen wird individuell entschieden, ob eine 2- oder 3-jährige Ausbildung besser ist. • Die Betriebe brauchen im Handwerk flexible Mitarbeiter, die ganze Bereiche abdecken können. Deshalb ist das Interesse an 2-jährigen Ausbildungsberufen in den einzelnen Wirtschaftsbetrieben sehr unterschiedlich. • Eine Begründung für die Schaffung von 2-jährigen Ausbildungsberufen ist, dass einige Betriebe dadurch überhaupt erst Ausbildungsplätze anbieten. Voraussetzungen, um positive Wirkungen zu erreichen: 1) Ermittlung des betrieblichen Bedarfs 2) Einrichtung zusätzlicher Ausbildungsstellen 3) Tatsächliche Besetzung der Stellen mit Jugendlichen mit schlechteren Startchancen • Man muss sich jeden einzelnen Beruf inhaltlich anschauen, ob er geeignet ist. Weiterhin steht die Frage, ob Benachteiligte profitieren, im Vordergrund. Es darf zu keiner Substituierung von 3-jährigen Ausbildungsberufen kommen und das Lohnniveau muss beachtet werden. Daneben ist die Anschlussfähigkeit ein wichtiges Kriterium. In der ganzen Diskussion sollten auch die Bedürfnisse der Jugendlichen und die Frage „Was fordern wir eigentlich von den Jugendlichen?“ beachtet werden. • In der Abschlussrunde wurden noch einmal die unterschiedlichen Anforderungen deutlich: Die Ausbildungsdauer ist für die Zielgruppe nicht unbedingt entscheidend, die Arbeitsnachfrage ist entscheidend. Hilfreich könnten Qualifizierungsbausteine auf Bundesebene sein. Möglich ist die Unterstützung von Ausbildungsallianzen. Wichtig ist, die Bedürfnisse der Jugendlichen in den Blick zu nehmen, benachteiligte Jugendliche brauchen Anschluss und Zertifizierung. Vor der Einführung 2-jähriger Ausbildungsberufe muss der betriebliche Bedarf in Betriebsbefragungen ermittelt werden. • Die aktuelle Diskussion bewertet die Frage „2-jährige Berufe – ja oder nein?“ teilweise über. Letztlich muss die Diskussion unter der Fragestellung „Profitieren Benachteiligte“? geführt werden. Eine allgemeingültige Antwort auf die Frage ‚Sind einfache Wege geeignet für schwierige Jugendliche?‘ gibt es nicht. • Bei der Einführung verkürzter Ausbildungswege ist immer auf die Anschlussfähigkeit und Durchlässigkeit zu achten. “

http://www.good-practice.de
http://www.bibb.de

Quelle: Kolping Jugendberufshilfe

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