JUGENDLICHE AUF DEM ARBEITSMARKT Thomas Rothe und Stefanie Tinter untersuchten für das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Bestände und Bewegungen. Auszüge aus dem 4. IAB Forschungsbericht: “ 1 Einleitung Der Übergang von der Schule in die Erwerbstätigkeit ist für viele Jugendliche heute länger und bedeutend komplexer als noch in ihrer Elterngeneration. Jugendliche haben im Anschluss an die allgemeinbildende Schule oftmals eine Reihe von Übergängen zu bewältigen, bis sie schließlich eine Anstellung im erlernten Beruf finden. Diese Übergänge lassen sich auch als Statuswechsel interpretieren und verlaufen bei vielen Jugendlichen nicht so problemlos, wie das vielleicht früher der Fall war. … Allerdings sind nicht alle Jugendlichen in gleichem Maße von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Unterschiede werden deutlich, wenn separate Quoten für Ost- und Westdeutschland, deutsche und nicht deutsche Jugendliche und nach Qualifikationsniveau betrachtet werden. Bezieht man zusätzlich die vergleichsweise kurzen Arbeitslosigkeitsdauern von Jugendlichen und die Vielzahl arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen in die Erwägungen mit ein, so ergeben sich bereits Hinweise auf die Bedeutung von Arbeitsmarktübergängen in der Jugendphase. … 2 Das Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit … 2.2 Vergleich zwischen alten und neuen Bundesländern … Der ostdeutsche Arbeitsmarkt ist durch erheblich höhere Arbeitslosigkeit gekennzeichnet, dies betrifft Jugendliche in besonderem Maße. Es wird deutlich, dass die Jugendarbeitslosigkeit insgesamt in Ostdeutschland rund doppelt so hoch ist wie im Westen. … In den Monaten Januar und Februar kommt es regelmäßig zu einem saisonbedingten Anstieg der Arbeitslosigkeit, der vor allem ungelernte und angelernte Arbeiter sowie Facharbeiter in der Baubranche und der Landwirtschaft betrifft. … Verstärkt wird der Anstieg in den Wintermonaten durch Absolventen von 3½-jährigen Berufsausbildungen, wie sie beispielsweise im gewerblichen Bereich durchgeführt werden. Der zweite Höhepunkt der Arbeitslosenquoten im Frühsommer jeden Jahres hängt damit zusammen, dass sich viele Jugendliche im Anschluss an eine berufliche Ausbildung bei den Arbeitsagenturen als arbeitsuchend melden. Hier zeigt sich bereits ein bemerkenswerter Unterschied zwischen den alten und den neuen Bundesländern, der darauf zurückzuführen ist, dass es in Ostdeutschland in den vergangenen Jahren wesentlich schwerer war, einen Arbeitsplatz zu finden und eine Weiterbeschäftigung im Ausbildungsbetrieb nicht mehr die Regel war. Die Anstiege der Arbeitslosenquote … erfolgen in den neuen Bundesländern wesentlich steiler als in den alten Bundesländern. … 2.3 Unterschiede bezüglich Geschlecht, Nationalität und Bildungsniveau … Es zeigt sich seit 2001 ein Anstieg der Quoten für alle betrachteten Gruppen, wobei auffällt, dass Frauen bei den älteren wie auch bei den jüngeren Arbeitslosen seltener betroffen sind. Insbesondere die Arbeitslosenquoten von männlichen und weiblichen Jugendlichen unterscheiden sich erheblich. Jugendliche Frauen sind im Vergleich zu den übrigen Erwerbstätigen im Vorteil, wenn man nur die Arbeitslosenquote betrachtet. Das liegt zum Teil daran, dass Mädchen im Durchschnitt über bessere Schulabschlüsse verfügen und somit bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, kann allerdings auch damit zusammenhängen, dass sie eher eine weiterführende Schule besuchen oder eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme absolvieren, als arbeitslos zu sein. … Die Arbeitslosenquote bei ausländischen Jugendlichen ist dabei meist um 4 bis 5 Prozentpunkte höher als bei deutschen. … Das erhöhte Arbeitslosigkeitsrisiko der ausländischen Jugendlichen hängt nicht zuletzt mit deren schulischer Bildung zusammen: … Dabei sind die Schwierigkeiten für ausländische Jugendliche am größten, wenn sie einen großen Teil ihrer Schulausbildung im Ausland erworben haben. Je später im Leben Migration stattfindet, desto schwerer ist es, Sprachbarrieren abzubauen und damit auch schulischen Erfolg zu haben. Abgesehen davon werden im Ausland erworbene Bildungszertifikate in Deutschland häufig nicht anerkannt. Da die Bildungsentscheidung eine Zukunftsinvestition darstellt, die nach der erwarteten Höhe des Ertrags getroffen wird, führt die subjektive Unterschätzung des Wertes von Bildungskapital seitens nicht deutscher Eltern und Kinder dazu, dass diese Kinder und Jugendlichen weniger in den Bildungserfolg investieren, weil sie sich ohnehin keine großen Chancen auf dem Arbeitsmarkt ausrechnen. … 2.4 Arbeitslosigkeitsdauer und Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik … Die jugendlichen Arbeitslosen verließen 2006 nach durchschnittlich 19 Wochen (130 Tagen) die Arbeitslosigkeit, während die über 24-jährigen Arbeitslosen durchschnittlich 46 Wochen (324 Tage) arbeitslos waren, bevor sie die Arbeitslosigkeit beenden konnten. Jugendliche beenden die Arbeitslosigkeit im Vergleich zur Gruppe der über 24-Jährigen also durchschnittlich mehr als doppelt so schnell. …Vor allem bei Jugendlichen wirkt sich der Einsatz von Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf die Arbeitslosigkeitsdauer aus. Denn geförderte Jugendliche verlassen zumindest vorübergehend die Arbeitslosigkeit, solange sie an einer Fort- oder Weiterbildung, einer außerbetrieblichen Ausbildung oder anderen Maßnahmen teilnehmen. Somit sinken die Dauern tendenziell, wenn den Jugendlichen vermehrt Angebote gemacht werden können … Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik unterstützen die Eingliederung in den Arbeitsmarkt, stellen aber auf der anderen Seite auch neue Übergänge dar, da sie von vorne herein zeitlich befristet sind. … In den letzten Jahren sind die jahresdurchschnittlichen Teilnehmerzahlen leicht gesunken (vgl. Tabelle 1), was insbesondere darauf zurückzuführen ist, dass die Maßnahmedauern reduziert wurden. … 4 Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt – eine Bewegungsanalyse … Die folgenden Analysen beziehen sich auf die Makroperspektive und beleuchten Unterschiede zwischen Jugendlichen und Erwachsenen bezüglich der Wahrscheinlichkeit von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein sowie der Abgangswahrscheinlichkeit. … 4.1 Betroffenheit von Arbeitslosigkeit Franz (2003) führt neben dem Begriff „Arbeitslosigkeitsrisiko“ auch die „Betroffenheit von Arbeitslosigkeit“ ein. Beide Konzepte ergeben sich aus einer theoretischen Betrachtung der Dynamik von Arbeitslosigkeit. Werden anstelle der jahresdurchschnittlichen Bestandsgrößen die Stromgrößen, d. h. in unserem Fall die Zugänge in Arbeitslosigkeit, und die Dauern der jeweiligen Arbeitslosigkeitsphasen in Betracht gezogen, so lässt sich die Arbeitslosenquote in drei Komponenten zerlegen: Risiko, Dauer und Mehrfachbetroffenheit von Arbeitslosigkeit. Das Risiko, arbeitslos zu werden, ergibt sich als Quotient aus dem Zustrom unterschiedlicher Personen in Arbeitslosigkeit (je Zeiteinheit) und der Anzahl aller abhängigen Erwerbspersonen (Arbeitslose + abhängig Beschäftigte). Dagegen sind beim Indikator „Betroffenheit“ mehrfache Zugänge einer Person in Arbeitslosigkeit möglich. Betroffenheit = Zugänge in Arbeitslosigkeit / abhängige Erwerbspersonen … Datenbasis für die Zugänge in Arbeitslosigkeit und die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist hier die amtliche Statistik der BA. Auffallend ist zunächst, dass Jugendliche wesentlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind als Erwerbspersonen über 24 Jahren. Die Betroffenheit lag 2006 bei rund 45 Prozent bei den jugendlichen Erwerbspersonen und knapp 18 Prozent bei den übrigen Erwerbspersonen. … Die Zugänge in Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen sind bis 2005 kontinuierlich gestiegen (von 1,3 Mio. im Jahr 1999 auf fast 1,8 Mio.), obwohl die Zahl der abhängigen Erwerbspersonen unter 25 Jahren bis 2002 bei etwa 4 Mio. lag und seitdem sinkt. Der drastische Anstieg der Betroffenheit von 38 Prozent im Jahr 2002 auf 48 Prozent im Jahr 2005 bzw. 45 Prozent im Jahr 2006 ergibt sich somit aus dem Rückgang der Erwerbspersonen auf der einen und dem Anstieg der Zugänge in die Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite. Hintergründe dieser Entwicklung sind der demographische Wandel sowie ein schwaches Wirtschaftswachstum in den Jahren bis 2005. Um die Zugänge in Arbeitslosigkeit detaillierter analysieren zu können, ist es notwendig, die Übergänge auf dem Arbeitsmarkt für Jugendliche genauer zu betrachten. … 4.4 Die Stabilität von Beschäftigungsverhältnissen … Je nachdem, in welchem Erwerbsstatus sich eine Person befindet, ist die Wahrscheinlichkeit eines Statuswechsels unterschiedlich hoch. Während die jährliche Abgangsrate aus einer betrieblichen oder außerbetrieblichen Ausbildung aufgrund der befristeten Ausbildungszeit bei rund 40 Prozent liegt, sind sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit einer durchschnittlichen Abgangsrate von rund 22 Prozent wesentlich stabiler. Allerdings zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Jugendlichen und Beschäftigten zwischen 25 und 64 Jahren. … 5 Zusammenfassung und Fazit … Werden Jugendliche längerfristig von der Teilnahme am Erwerbsleben ausgeschlossen, verstärken sich die negativen Effekte der Arbeitslosigkeit: Der Ausschluss vom kulturellen und gesellschaftlichen Leben aus finanziellen Gründen sowie der Ausschluss von der Möglichkeit sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln können die Folge sein. Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, vor allem Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, aber auch Beschäftigung auf dem zweiten Arbeitsmarkt, stellen hier vielleicht den einzig möglichen Ausweg dar. Wer lediglich die Arbeitslosenquote von Jugendlichen der Gesamtquote gegenüberstellt, wird das tatsächliche Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland unterschätzen. International vergleichende Daten der OECD zeigen aber, dass die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen in den letzten Jahren fast bis auf EU-15-Durchschnitt gestiegen ist. Die Annahme, in Deutschland würde es, was Jugendarbeitslosigkeit angeht, noch einigermaßen „rosig“ aussehen, ist überholt. … Außerdem verschlechtern sich die Chancen für gering qualifizierte Personen auf dem Arbeitsmarkt zusehends, weil vermehrt flexible und hoch qualifizierte Mitarbeiter gesucht werden. Das kann dazu führen, dass bereits in naher Zukunft bei insgesamt hoher Arbeitslosigkeit, zumindest in Teilbereichen, Fachkräftemangel herrscht, was wiederum die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland belasten würde. Doch wie können mögliche Lösungsansätze aussehen? … Analysen des Übergangsgeschehens auf dem deutschen Arbeitsmarkt zeigen einige Unterschiede zwischen Jugendlichen und Erwerbspersonen über 24 Jahren. So sind Jugendliche im Durchschnitt mehr als doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen wie ältere Personen. Allerdings verbleiben die Jugendlichen vergleichsweise kurz in Arbeitslosigkeit … Von großem sozialpolitischem Interesse dürfte eine Maßzahl für die Stabilität der Arbeitslosigkeit sein, die über den Begriff der Langzeitarbeitslosigkeit hinausgeht. Der Anteil der Jugendlichen, die zum Jahresanfang und zum Jahresende 2004 arbeitslos waren, unabhängig davon ob sie während des Jahres diesen Status kurzzeitig verlassen konnten, liegt bei etwa 32 Prozent. … sollten gerade diese Jugendlichen eine wichtige Zielgruppe aktiver Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sein. Denn für Jugendliche stellen nicht nur dauerhafte Arbeitslosigkeitsphasen, sondern auch häufige Wechsel zwischen Ausbildung, Arbeitslosigkeit und Beschäftigung enorme Belastungen dar. Deshalb ist es sehr wichtig die Übergänge zu gestalten und die Risiken für Jugendliche überschaubar zu machen. … Deshalb sind alle arbeitsmarktpolitischen Akteure aufgefordert, Mitverantwortung für die jüngere Generation zu übernehmen und ihnen Hilfeleistungen beim Übergang von der allgemeinbildenden Schule über die Ausbildung bis ins Erwerbsleben zu geben. Dazu ist es nötig, Beratungsangebote bereits in den Schulen anzubieten und den Übergangsprozess zu betreuen. Bestehende Angebote, insbesondere seitens der Bundesagentur für Arbeit und der Kommunen, sollten erhalten oder ausgebaut werden. Im SGB-II-Bereich sind Jugendliche eine wichtige Zielgruppe, die mittels Qualifizierungsmaßnahmen auf den Eintritt oder Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt vorbereitet werden soll. Dabei gilt es jedoch insbesondere bei den jugendlichen Arbeitslosengeld-II-Empfängern das häusliche und familiäre Umfeld mit zu berücksichtigen. Die Gefahr sozialer Ausschließung steigt mit jedem kritischen Übergang. Deshalb ist gerade für Jugendliche besonders wichtig, dass die Beschäftigungsfähigkeit erhalten bleibt und die soziale Sicherung zu jeder Zeit gewährleistet ist. Dem Konzept der Übergangsarbeitsmärkte kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, denn mittels institutionalisierter Übergänge lassen sich die Risiken eines Arbeitsplatzwechsels minimieren und die Arbeitsmarktflexibilität steigt, ohne die sozialpolitische Absicherung aufzugeben. Auch alternative Erwerbsformen wie Erziehungsarbeit, die Betreuung pflegebedürftiger Familienangehöriger oder ehrenamtliche Tätigkeiten könnten als Übergangsarbeitsmärkte aufgefasst und somit besser anerkannt werden. Institutionalisierten Beschäftigungsbrücken könnten die klassische Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ergänzen … Kieselbach … fordert … einen „sozialen Geleitschutz“ für Jugendliche zur besseren Bewältigung von Übergangssituationen. Dieser … sollte einerseits individuell angelegt sein und präventiv wirken, also möglichst unbürokratisch allen Jugendlichen zur Verfügung stehen, die sich informieren oder beraten lassen wollen, andererseits aber auch institutionell in Schulen, Berufsschulen oder bei den Arbeitsagenturen eingebunden sein. “ Den Volltext der Untersuchung entnehmen Sie bitte der Homepage des IAB oder dem Anhang.
http://www.iab.de
Quelle: http://www.iab.de/asp/internet/dbdokShowOhne.asp?pkyDoku=k070308n03
Dokumente: fb0407.pdf