Bildung in Deutschland. Milieu oder Migration – was zählt mehr?

MILIEU ODER MIGRATION ‚Bildung in Deutschland‘ und DJI-Kinderpanel Im DJI Bulletin zum Thema ‚Migration, Integration, interethnisches Zusammenleben‘ befasst sich ein Beitrag mit der Fragestellung was mehr Einfluss auf den Bildungsstand hat: Milieu oder Migration? Auszüge aus dem von Christian Alt Beitrag: “ Die Studien PISA und IGLU deckten wiederholt auf, dass es zwischen jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund erhebliche Ungleichheiten der kognitiven Kompetenzen sowie der Übergangsempfehlungen für die zu besuchenden Schularten gibt. Die Gründe dafür liegen allem Anschein nach auf der Hand zum einen Mängel, die deutsche Sprache zu beherrschen, zum anderen deutlich geringere Geldmittel und Erwerbsquellen der Migrantenfamilien. Eine solche Sicht lässt jedoch außer Betracht, dass die Population der Migranten unterschiedlich ist. Politisch und gesellschaftlich ist es aber notwendig, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ähnliche Kompetenzen und Bildungsabschlüsse erreichen wie die gleichaltrige Bevölkerung ohne Zuwanderung. Der Bericht »Bildung in Deutschland« sowie das Kinderpanel des DJI zeigen, dass bisherige Forschung oft zu kurz greift und zu schnell Aussagen über Migrantinnen und Migranten in die Runde wirft. Wo aber ist in Gesellschaft und Politik anzusetzen an der Migration oder am Milieu? Inwieweit hängen Milieu und Migration unmittelbar zusammen? Woher kommen die Migrantenfamilien In Deutschland leben 81,4 % Menschen ohne Migrationshintergrund. Der Bericht »Bildung in Deutschland« unterscheidet anhand der Daten des Mikrozensus (2005) für die Menschen mit Migration fünf Gruppen der Herkunft Dabei sind die »Gastarbeiter« aus den früheren Anwerbestaaten, insbesondere aus der Türkei, sowie die Aussiedler aus der Ex-UdSSR die wichtigsten Gruppen … Misslingt Integration durch Bildungsmangel Die Migrantinnen und Migranten aus der Türkei sowie aus den ehemaligen Anwerberstaaten bewirken zahlenmäßig hohe Abweichungen vom Bildungsstand der deutschen Bevölkerung. Wie aber lässt sich ein solcher Tatbestand erklären? Das Kinderpanel des DJI kann dazu aufgrund von Untersuchungen zu milieuspezifischen Prozessen der Bildung eine neue Sichtweise vorschlagen, indem es grundsätzlich nach sozialer Ungleichheit und damit verbundenen unterschiedlichen Formen der Milieus fragt … Soziale Ungleichheit entsteht dadurch, dass Menschen in einer Gesellschaft über Güter wie Bildung, Geld, Zugehörigkeit (Nationalität bzw. Migrationshintergrund), Macht, Einfluss oder Prestige verfügen und dies auch entsprechend einsetzen können, wobei bereits die Verteilung dieser Güter als ungleich gilt. Das Milieu als soziale Umgebung Milieus sind immer mit der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht verbunden. Milieu ist ein Ensemble von handelnden Personen, – die im sozialen Raum ähnliche Positionen einnehmen, – annähernd ähnliche Dispositionen, Interessen, Wertvorstellungen und Präferenzen aufweisen. Milieus sind demnach gekennzeichnet durch die Ähnlichkeit – der (Aus-)Bildung, – der Erwerbstätigkeit, – des Wohlstandes im Sinne von Einkommen, – des Berufs, – der Familienform, – des Familienstandes, – der Familiengröße. Die milieutypischen Umstände sind jeweils Voraussetzungen dafür, wie Kinder aufwachsen bzw. die Möglichkeiten der Bildung und Ausbildung künftig wahrnehmen können. … lassen sich nach dem Kinderpanel des DJI fünf Milieus kennzeichnen. Im Folgenden werden das höchste sowie das unterste Milieu kurz charakterisiert. Das höchste Milieu – ist geprägt durch einen hohen Anteil verheirateter Kernfamilien, – enthält einen weit überdurchschnittlichen Anteil von erwerbstätigen Müttern. Das unterste Milieu – hat einen geringen Anteil an Kernfamilien, – erweist sich als besonders kinderreich, – ist dadurch gekennzeichnet, dass zwei von drei Müttern keinen beruflichen Abschluss haben und nur 16 % der Mütter einer Arbeit nachgehen. Die schulische Situation der Kinder entspricht dann ebenfalls dem jeweiligen Milieu – Mit steigendem Milieu wird die schulische Situation für die Kinder stets besser. – Die Leistungen in den Fächern Mathematik, Lesen und Sachkunde entsprechen dem Milieu Kinder aus dem untersten Milieu schneiden durchschnittlich etwa eine halbe Note schlechter ab als die Kinder des höchsten Milieus (die Schulnoten wurden dabei in vier statt sechs Kategorien erfasst). Die Milieus unterscheiden sich demnach deutlich nach den Merkmalen der Familien sowie in Bezug auf den Schulerfolg. Auch die Freizeit ist vom Milieu geprägt … Die Ausstattung an »Kapital« (Geldmittel, Zugänge zu Bildung, Information, Kommunikation) ist in den unteren Milieus gering. Mit den vom Milieu abhängigen Aktivitäten und Hilfeleistungen sind demnach für Kinder unterschiedliche Anregungen gegeben, die sich mit dem Aufsteigen der Milieus vermehren und an Qualität verbessern. Dies hat dann auch Nebeneffekte für die Bereiche der Bildung, beispielsweise die weit häufigere Nutzung von Computern und die für alle Kinder der obersten Milieus geltende Unterstützung der Eltern in schulischen Angelegenheiten. Der Zusammenhang zwischen Ethnien und Milieus … Der Vergleich von türkischen Kindern und Aussiedler-Kindern zeigt, dass Migration als alleiniges Kennzeichen für die beobachtbaren Unterschiede nur ein schwacher Indikator ist: – Die türkischen Kinder gehören zu 41 % dem untersten Milieu an kein türkisches Kind konnte dem höchsten Milieu zugeordnet werden. – Die russischen Kinder gehören überwiegend den mittleren Milieus an. – Nur bei den deutschen Kindern sind in nennenswerter Anzahl auch Kinder aus dem obersten Milieu vorhanden. Über die Milieus lassen sich hier deutliche Unterschiede aufzeigen, die – wie bereits dargestellt – auch im Bildungsprozess zu deutlich verschiedenen Entwicklungen führen können. Es konnten teilweise gravierende Unterschiede der Bedingungen des Bildungsprozesses festgestellt werden. Fazit – Die Population der Migrantinnen und Migranten ist keine homogene Bevölkerungsgruppe. – Unterschiede in Herkunft und Milieu haben Auswirkungen auf die Lernbedingungen der Kinder. – Wer aus einem niedrigen Milieu stammt – gleichgültig ob mit oder ohne Migrationshintergrund – wird stets die gleichen Probleme im Bildungsbereich haben. – Integration durch Bildung sollte daher nicht die Frage Milieu oder Migration aufwerfen, sondern sollte Milieu und Migration als Determinanten einer mehr oder minder gut gelingenden Integration verstehen. “ Dr. Phil., Dipl. Soziologe Christian Alt, DJI München

http://www.dji.de/cgi-bin/bulladmin/panel.php?sprache=D&demand=&dex=/srv/www/htdocs/bulletin/d_bull_d/bull76_d/index76.htm

Quelle: DJI Bulletin Nr.76

Ähnliche Artikel

Verfassungsgericht sieht kein Grundrecht auf BAföG

Studierende haben keinen unmittelbaren verfassungsrechtlichen Anspruch auf staatliche Leistung zur Aufnahme eines Studiums. Weder ein menschenwürdigens Existenzminimum noch das Sozialstaatsprinzip könnten als Begründung für Unterstützung

Ohne sie ist alles nichts

Unter dem Motto „Ohne sie ist alles nichts“ fand der 14. Dialogtag der Katholischen Jugendsozialarbeit (KJS) Bayern Mitte Oktober in Regensburg statt. Im Mittelpunkt der

Skip to content