Chancengleichheit durch Bildungsgerechtigkeit: Gleiche Bildungschancen für benachteiligte Kinder und Jugendliche

DISKUSSIONSPAPAIER DES VORSTANDES FÜR EINE BILDUNGSPOLITISCHE POSITIONIERUNG DES DEUTSCHEN CARITASVERBANDES In einem Diskussionspapier zieht der DCV Konsequenzen aus der Ausgangssituation und schlägt Bildungspolitische Handlungsschwerpunkte vor. Diese resultieren aus dem Bildungsverständnis des DCV und der Ausgangsituation. Zu Grunde gelegt wird auch das Menschenrecht auf Bildung und Bildungsgerechtigkeit. Auszüge aus den Bildungspolitischen Schwerpunkten des DCV: “ Ausgangssituation: Benachteiligte Kinder und Jugendliche haben schlechtere Bildungschancen Die Ergebnisse der internationalen Studien, allen voran „PISA“, belegen, dass in Deutschland der Schulerfolg wesentlich von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler abhängt. Dies zeigt sich besonders an den Übergängen in weiterführende Schulformen. Kinder aus unteren Einkommensschichten sind auch bei gleicher Schulleistung bei der Übergangsentscheidung benachteiligt. … Mehr als 8,2% der Schulabgänger/-innen pro Jahr in Deutschland erreichen keinen Schulabschluss. Fast 15% der 20 bis 29-jährigen haben keinen Ausbildungsabschluss. Bei ausländischen Jugendlichen liegt der Anteil ohne Ausbildungsabschluss bei einem Drittel. Das Bildungssystem ist von einer hohen sozialen Selektion geprägt, die sich auch im Bereich der beruflichen Bildung und der Fort- und Weiterbildung fortsetzt. In der Praxis ist die Durchlässigkeit des Bildungssystems sehr eingeschränkt. Fehlende Bildungsabschlüsse stellen ein hohes Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiko dar. Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien haben im Blick auf Bildung ein doppeltes Benachteiligungsrisiko. Aufgrund ihrer sozialen Herkunft haben sie zum einen schlechtere Bildungschancen. Aus einem fehlenden oder niedrigeren Schulabschluss resultieren zum anderen geringere Zugangschancen z.B. zum Arbeitsmarkt und damit ein langfristiges Armuts und Benachteiligungsrisiko. Eine Verbesserung der Bildungschancen von benachteiligten Kindern und Jugendlichen ist ein wesentlicher Beitrag zu mehr Befähigungs- und Beteiligungsgerechtigkeit. Gleichzeitig sind bessere Bildungschancen eine elementare Voraussetzung für die freie Entfaltung jedes Kindes und Jugendlichen. … 5. Konsequenzen: Bildungspolitische Schwerpunkte des DCV Die bildungspolitische Positionierung des DCV konzentriert sich auf vier zentrale Phasen bzw. Instanzen der Bildung von Kindern und Jugendlichen und verfolgt für die Verbesserung von Bildungschancen für benachteiligte jungen Menschen folgende Ziele: 1. Familien als primäre Sozialisations- und Bildungsinstanz stärken und begleiten 2. Kindertageseinrichtungen als Bildungsorte gerade für benachteiligte Kinder qualifizieren 3. Schulen in ihrer Bildungsfunktion unterstützen und Bildungsgerechtigkeit fördern 4. Jugendlichen mit Hauptschulabschluss ohne Schulabschluss bessere Ausbildungs- und Berufschancen eröffnen In den Blick genommen werden dabei insbesondere auch die Übergänge zwischen den Phasen bzw. die Kooperation und Vernetzung der Akteure, die notwendigen politischen, rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sowie der Beitrag der verbandlichen Caritas. … 3. Schulen in ihrer Bildungsfunktion unterstützen und Bildungsgerechtigkeit fördern Situation Das Schulsystem nimmt eine der zentralen Funktionen im Bildungsprozess eines Kindes und Jugendlichen ein. Die Dreigliedrigkeit des deutschen Schulwesens trägt insgesamt nicht dazu bei, dass sozialisations- bzw. herkunftsbedingte Benachteiligungen ausgeglichen werden. In der Regel werden sie eher noch verschärft. Mit einem Hauptschulabschluss ist es nur schwer möglich, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu erhalten. So erhielt nach dem Schuljahr 2005/2006 bisher nur jede(r) dritte Hauptschüler(in) einen regulären Ausbildungsplatz. Problematisch sind die finanziellen Belastungen für einkommensschwächere Familien, die sich aus dem Schulbesuch ergeben. Kinder und Jugendliche im Transferbezug sind benachteiligt, weil zusätzliche Bedarfe für die Schule (Lernmittel, Materialien) nicht ausreichend in den Regelleistungen berücksichtigt sind. Bewertung Die Untersuchungen im Zusammenhang mit PISA zeigen, dass Schulen mit modellhaften Bedingungen (wie zum Beispiel die Laborschule in Bielefeld), ohne starr abgegrenzte Klassen, mit einem hohen Anteil an praxisorientierter Projektarbeit und individueller Ansprache und Förderung, im Vergleich zu anderen Schulen erfolgreicher arbeiten. Diese Erfahrungen müssen Eingang finden in die Konzepte und die Gestaltung der Schulen (einschließlich qualifizierter Ganztagsschulen). Diese müssen zu Orten werden, an denen junge Menschen jeglicher sozialer Herkunft Zugang zu ihren Entwicklungspotentialen finden sowie Lernerfahrungen machen, die über den Rahmen ihrer bisherigen Sozialisation hinausgehen und ihnen zur Bewältigung ihres Alltags und für ihre weitere Lebensplanung dienlich sind (Annehmbarkeit von Bildung). Zur Realisierung ist ein multiprofessionelles Team, mit Partnern aus der Jugendhilfe und weiteren außerschulischen Akteuren (wie Vereine oder Verbände usw.) in den Schulen erforderlich. Zudem müssen Schüler/-innen und Eltern als mitwirkende Akteure im schulischen Leben anerkannt und ihre Partizipation gefördert werden. Diese verschiedenen Anforderungen sind in der Aus- und Weiterbildung von Lehrenden zu berücksichtigen. … Mit der Entwicklung „kommunaler Bildungslandschaften“, in der eine strukturelle Verzahnung von Bildungs-, Betreuungs- und Förderangeboten geschaffen wird, könnte eine Strukturreform eingeführt werden, die an den unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten nicht scheitert. Entscheidend ist außerdem, dass Angebote der Jugendarbeit mit der Schule verzahnt werden und die offene Jugendarbeit weiterhin von den Kommunen gefördert wird. Beitrag der verbandlichen Caritas … Allerdings besteht keine flächendeckende Kooperation zwischen Schule und der Kinder- und Jugendhilfe der Caritas. Die verbandliche Caritas steht für eine engere Kooperation zur Verfügung. Diese darf nicht weiter dem Zufall überlassen bleiben, sondern muss gesteuert werden. Der DCV fördert die Zusammenarbeit zwischen Diensten und Einrichtungen der Caritas, den Pfarrgemeinden und den Schulen. Er unterstützt die Entwicklung von Konzepten für gemeinsame Fort- und Weiterbildungen von Lehrenden und Caritasmitarbeitenden, wie benachteiligte Kinder und Jugendliche gefördert werden können. … Position Der DCV setzt sich für eine Gestaltung des Schulsystems ein, die eine frühe Selektion ausschließt und die gesellschaftliche Teilhabe aller jungen Menschen fördert. Ebenso muss sich das Schulsystem sich an einem ganzheitlichen Bildungsbegriff ausrichten und dahingehend umgestaltet werden. Unter diesem Anspruch müssen sich die Bildungsangebote an den individuellen Voraussetzungen und Möglichkeiten der jungen Menschen orientieren. Hierfür sind gemeinsame Bildungskonzepte und eine systematische Zusammenarbeit zwischen Schule und der Kinder-, Familien- und Jugendhilfe auf allen Ebenen erforderlich. Der DCV bietet dazu seine Erfahrungen, Positionen und Konzepte an. Kinder und Jugendliche im Transferbezug müssen Lernmittel erhalten, an Schulausflügen teilnehmen können und einen Zugang zu Nachhilfeunterricht haben. In den Landesschulgesetzen sind für einkommensschwache Familien, insbesondere die Empfänger(innen) von Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende, die Lernmittelfreiheit für Schulbücher und schulbuchergänzende Medien einzuführen. Andere schulische Bedarfe und eintägige Klassenfahrten sind als einmalige Leistungen in § 23 Abs. 3 SGB II und § 31 SGB XII aufzunehmen (Zugänglichkeit). Keinem Kind oder Jugendlichen dürfen aufgrund seines Migrationshintergrundes oder seines ausländerrechtlichen Status Bildungschancen erschwert oder verweigert werden (Menschenrecht auf Bildung). 4. Jugendlichen mit Hauptschulabschluss bzw. ohne Schulabschluss bessere Ausbildungs- und Berufschancen eröffnen Situation In Deutschland setzt sich die Benachteiligung aufgrund sozialer Herkunft im Schulsystem auch im Übergang zum Beruf fort. Das Gleiche gilt für die Benachteiligung von Jugendlichen mit Hauptschulabschluss oder ohne Schulabschluss. Der Anteil von Jugendlichen mit Hauptschulabschluss unter den Auszubildenden mit neu abgeschlossenen Ausbildungsvertrag betrug im Jahr 2005 30,8%. In steigendem Maße wird die Gruppe der Jugendlichen mit Hauptschulabschluss in der Konkurrenz um begrenzte Ausbildungsplätze von Jugendlichen mit höheren Bildungsabschlüssen verdrängt. Nahezu aussichtslos ist es für junge Menschen ohne Hauptschulabschluss, eine Ausbildung im dualen System erfolgreich abzuschließen. Die Bedeutung eines Berufsabschlusses zeigt sich auch darin, dass im Jahresdurchschnitt 2005 insgesamt etwa 50 Prozent aller arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren ohne Berufsabschluss waren. Bewertung Eine Ursache dieser Fehlentwicklungen liegt darin, dass Berufsorientierung und Berufsvorbereitung in den Schulen nicht als Regelangebot integriert sind. Nach Beendigung der Schule ist es bei benachteiligten Jugendlichen, die nicht den Übergang in die Ausbildung schaffen, oft dem Zufall überlassen, welches Angebot sie erhalten. Zu dieser Situation trägt insbesondere bei, dass in Deutschland kein durchgängiges, transparentes Fördersystem existiert, das jedem jungen Menschen die für ihn notwendige Unterstützung und Förderung beim Übergang von der Schule in den Beruf bietet. … Alle Anstrengungen müssen darauf abzielen, dass jede(r) Jugendliche einen Berufsabschluss erreichen kann. Hierfür bedürfen insbesondere benachteiligte Jugendliche zu einem frühen Zeitpunkt Unterstützung und Angebote zur Berufsorientierung und Berufsvorbereitung. … Als erfolgreich hat es sich erwiesen, wenn derartige Angebote frühzeitig in der Schule oder in der Zusammenarbeit mit der Schule eingerichtet worden sind. … Beitrag der verbandlichen Caritas Um Bildungs- und Integrationschancen benachteiligter Jugendlicher zu erhöhen, engagiert sich der DCV für eine stärkere Verankerung der Jugendhilfe auch im schulischen System. Der DCV baut seine Projekte aus, Jugendliche in der Schule und im Übergang zum Beruf durch ehrenamtlich/freiwillige Mitarbeitende der Caritas als Paten zu begleiten. Eine berufliche Integration benötigt Betriebe als Lernorte und als Kooperationspartner. Zum einen ist dies notwendig, damit bereits während der Schulzeit Praktika zur Beruforientierung absolviert werden können oder damit in vollzeitschulischen oder anderen außerbetrieblichen Maßnahmen in ausreichendem Umfang Praktika durchgeführt werden können. Außerdem sind Betriebe für die reguläre Berufsausbildung unverzichtbar. … Wichtige Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Betriebe auf eine externe Unterstützung in Form von sozialpädagogischer Begleitung der jungen Menschen, Hilfestellung bei der Lösung von Konflikten oder in Form ausbildungsbegleitender Hilfen zurückgreifen können. Eine Untersuchung des DCV in Kooperation mit IN VIA bestätigt, dass Betriebe in der Regel eher auf ein solches Unterstützungsmanagement als auf monetäre Anreize Wert legen. Notwendig ist auch eine systematische Kooperation auf regionaler-lokaler Ebene zwischen den beteiligten Akteuren und Institutionen (Schule, Jugendberufshilfe, Arbeitsagenturen und Wirtschaft). Der DCV wirkt darauf hin, dass die Einrichtungen und Dienste der Caritas zusätzliche Ausbildungs-, Praktikums- und Arbeitsplätze für Jugendliche mit Hauptschulabschluss/ohne Schulabschluss anbieten. Entsprechend unterschiedlicher Begabungen und Entwicklungszeiträume junger Menschen muss das Bildungssystem weitgehend durchlässig bleiben. Zur Zeit gibt es zu wenig Möglichkeiten der modularen und der nachholenden Bildung. Einmal verpasste Bildungsmöglichkeiten können kaum mehr ausgeglichen werden. Der Europäische Qualifikationsrahmen bietet möglicherweise Ansatzpunkte für eine zielgruppengerechte Flexibilisierung von Bildungsverläufen und für die Anerkennung individueller Bildungsleistungen, die außerhalb der Systeme formaler Bildung erbracht wurden. Der DCV setzt sich mit dafür ein, dass diese Chancen für eine bessere Integration benachteiligter junger Menschen genutzt werden. … Position Jugendliche benötigen in und nach der Schule ein verlässliches Angebot, das ihre Entwicklung, ihre Ausbildungsfähigkeit und ihre Berufswahlkompetenz fördert. Um Jugendliche erfolgreich in eine Ausbildung zu integrieren, sind Berufsorientierung und –vorbereitung in den Lehrplan der Schulen ab der 7. Klasse verbindlich aufzunehmen. Benachteiligte Jugendliche benötigen während des Übergangs in Ausbildung oder Beruf zur Begleitung und Unterstützung zusätzlich Bildungslotsen, die den Jugendlichen Orientierungshilfe im Berufsbildungssystem geben, mit ihnen eine individuelle Berufswegeplanung erarbeiten und sie durch die Ausbildung/den Beruf begleiten. Das Fördersystem für berufsbezogene Angebote muss gemeinsam von allen lokalen Akteuren geplant und so umgesetzt werden, dass für alle Jugendlichen sinnvoll aufeinander aufbauende Förderangebote vorhanden sind. Angebote der Jugendsozialarbeit müssen in dieses Fördersystem eingebettet sein. Ausländer- und sozialrechtliche Hürden, die den Zugang von jungen Ausländer/-innen zu Ausbildung und Arbeitsmarkt be- oder verhindern, müssen beseitigt werden. Die Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmen in einen nationalen Qualifikationsrahmen muss so gestaltet werden, dass die Zugangschancen zu Ausbildung, Studium und Beruf von jungen Menschen mit Hauptschulabschluss bzw. ohne Schulabschluss nachhaltig verbessert werden. “

http://www.caritas.de

Quelle: Deutscher Caritasverband

Dokumente: Chancengleichheit_durch_Bildungsgerechtigkeit1.pdf

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