KONZEPTION POLITISCHER JUGENDBILDUNG ZU BERUFSORIENTIERUNG UND LEBENSPLANUNG Susanne Offen und Jens Schmidt erläutern die Notwendigkeit eines speziellen Orientierungsangebotes für junge Männer in prikären Lebenslagen: “ Minijobs oder flexible Arbeitsformen, Generation Praktikum oder vielfältiges Ausprobieren, Working Poor oder Festanstellung? Lebenslange Bindung, serielle Monogamie, Patchwork-Familien, Alleinerziehen, Kinderlosigkeit oder Singledasein? Junge Menschen wachsen heute in einer Gesellschaft auf, in der sich die Gestaltung der Erwerbsarbeit, aber auch Familienstrukturen, Liebesbeziehungen und das Verhältnis der Geschlechter in Umbrüchen befinden. Prozesse von Enttraditionalisierung und Pluralisierung von Lebensentwürfen sind dabei genauso prägend wie die Zunahme sozialer Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft: wachsende Kinderarmut, sinkende Durchschnittseinkommen, Konzentration der Privatvermögen auf einige wenige Haushalte. Geschlechterverhältnisse durchkreuzen dabei das Leben junger Frauen und Männer in allen Bereichen ihres Lebensalltags und ihrer Identitätsentwicklung. Innerhalb der Jugendarbeit hat sich vor allem die politische Jugendbildung schon immer zum Ziel gesetzt, Arbeits- und Lebensverhältnisse von und mit Jugendlichen aufzugreifen, in eine gesellschaftspolitische (Veränderungs-) Perspektive einzubinden und Zukunftsoptionen zu diskutieren. Im Rahmen dieses Bestrebens stehen Institutionen sowie Pädagoginnen und Pädagogen der politischen Bildung auch heute vor der Herausforderung, in ihren Angeboten und pädagogischen Konzepten auf sich verändernde Realitäten rund um die Pole von Leben und Arbeit einzugehen. Angesichts der zunehmenden Abkoppelung vieler Jugendlicher von Ausbildung und Arbeitsmarkt, der wenig aussichtsreichen Perspektive auf eine gesellschaftliche Integration durch Erwerbsarbeit, wie sie bislang als Norm galt, erweisen sich viele Konzepte der Bildungsarbeit – in Schulen wie im außerschulischen Bereich -, die sich lediglich auf Berufsorientierung konzentrieren, als wenig hilfreich und zukunftsweisend. Im Folgenden sollen einige inhaltliche Überlegungen und praktische Erfahrungen skizziert werden, wie politische Bildung mit der Zielgruppe junge Männer das Thema „Arbeit‘ einerseits mit der Vereinbarkeitsproblematik und andererseits auch mit der möglichen Perspektive eines Lebens jenseits von Normalerwerbsbiographien verbinden kann. Gender und Arbeit: Dimensionen von Geschlechterverhältnissen in Zeiten der Prekarisierung Gerade die Prekarisierung der Erwerbsarbeit hat deutliche Gender-Dimensionen: Arbeitsverhältnissejenseits der Norm geraten vor allen Dingen dann in den Fokus gesellschaftlicher Diskussionen, wenn das Leitbild des männlichen Ernährers in Frage gestellt wird. Trotz der weiterhin bestehenden Überrepräsentanz von Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen sind nun zunehmend auch junge Männer mit solchen Erfahrungen konfrontiert. Für junge Männer aus einem bildungsbenachteiligten Umfeld stellt sich die Entwicklung häufig als starke Einschränkung ihrer Möglichkeiten dar. Das traditionelle Modell des Familienernährers ist angesichts schlechter Chancen auf einen höheren Bildungsweg und der prekären Situation auf dem Arbeitsmarkt nur schwer umzusetzen. Männliche Lebensentwürfe jenseits des traditionellen Familienernährers, die sich im eigenen sozialen Umfeld erfolgreich bewähren, sind rar. Erfolgreiche moderne Lebensentwürfe scheinen an die Verfügbarkeit von weitreichendem kulturellen und sozialen Kapital gekoppelt zu sein. Beide Geschlechter wachsen zudem mit einem in der Realität längst überholten, symbolisch jedoch weiterhin hoch wirksamen Ideal familiärer geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung auf, das nur wenig reflektiert neben Vorstellungen gleichberechtigter Beziehungen existiert. Formulieren junge Männer während ihrer Schulzeit und Ausbildung noch (vage) Pläne zur Verbindung von Beruf und Familie, so sehen sie sich mit zunehmendem Alter immer mehr als Familienernährer und gehen davon aus, dass die Partnerin ihre Erwerbsbiographie für die Kinderversorgung unterbricht. Die Wirkungsmacht stereotyper Verhaltensweisen und einschränkender Rollenvorgaben zeigt sich meist spätestens bei der Geburt des ersten Kindes. Häufig kommt es zu einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen: Die Frau wird vorrangig für das Kind und den Haushalt, der Mann vorrangig für den Lebensunterhalt und die Karriere zuständig. Die Voraussetzungen dafür, das moderne Ideal einer machtfreien Beziehung auf gleicher Augenhöhe umzusetzen, verschlechtern sich unter den Bedingungen prekarisierter Arbeit. Fehlende Spielräume und Erfahrungen reduzieren für die Einzelnen die Möglichkeiten zu Ansätzen gelingender und geschlechtergerechterer Work-Life-Balance. Gesamtgesellschaftlich zeigt sich nach wie vor eine geschlechtsgebundene Verteilung von Einkommen, gesellschaftlichem Einfluss sowie Erwerbs-, Haus- und Familienarbeit. Zu einem wichtigen Thema für die politische Jugendbildung werden prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse einerseits durch die Notwendigkeit, ihre Entstehung und Ausgestaltung mit Blick auf Veränderung der Produktionsbedingungen und gesellschaftlichen Geschlechterpolitiken zu analysieren (statt ihre Bewältigung allein in Form von Anpassung den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu überlassen) andererseits müssen Jugendliche die sich ihnen trotz allem bietenden Spielräume kennen lernen und zu aktiver Lebensplanung auch jenseits gesellschaftlicher Normen befähigt werden. … Vor diesem Hintergrund führt der Bildungsanbieter „Arbeit und Leben Hamburg“ DGB/VHS Hamburg e.V. ein spezielles konzipiertes Seminar, dass sich nicht auf bloße Berufsorientierung konzentriert, sondern den Blick auf angrenzende Lebensbereiche erweitert und in den Kontext gesellschaftspolitischer Diskussion stellt. Das mehrtägige Seminarangebot richtet sich an bildungsbenachteiligte männliche Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren mit dem Ziel, schon vor Beginn der Berufsausbildung eine Reflexion über den gesellschaftlichen Rahmen der Verknüpfung von produktiver und reproduktiver Arbeit anzuregen. Das Konzept versteht sich als Teil emanzipatorischer/nicht-identitärer Jungenarbeit. Im Sinne der in der wissenschaftlichen und theoretischen Auseinandersetzung immer betonten Relationalität der Geschlechterverhältnissse, die gerade bei dem Thema Lebens-, Beziehungs- und Berufsplanung besonders wirksam wird, ist das Konzept so angelegt, dass es durch ein parallel laufendes Mädchenseminar und punktuelle Austauschmöglichkeiten Kontroversität und Empathie als Momente mit einbeziehen kann. Das Konzept setzt auf einen stufenweisen Diskussions- und Lernprozess, bei dem im Wechsel immer die persönlich-individuelle und gesellschaftlich-politische Perspektive thematisiert und miteinander verbunden werden. “ Arbeit und Leben Hamburg bietet seine Seminar in Hamburg und Umgebung für Schulen und Jugendeinrichtungen an. Bundesweit gibt es Kurzfortbildungen für Multiplikatorinnen und Multiplkatoren, die den konzeptionellen Ansatz erklären und vermitteln. Die Seminare mit Jugendlichen werden sowohl geschlechtshomogen als auch geschlechtsheterogen angeboten. Kontakt: Arbeiten und Leben DGB/VHS Hamburg e.V. Besenbinderhof 60 20097 Hamburg Fon: 040 – 28 401 60 Fax: 040 – 28 401 616 e-Mail: office@hamburg.arbeitundleben.de
http://www.hamburg.arbeitundleben.de
Quelle: Deutsche Jugend 2007, H.12