‚BOOTCAMPS‘ BALD IN DEUTSCHLAND REALITÄT? ABSCHIEBUNG JUGENDLICHER STRAFTÄTER OHNE DEUTSCHEN PASS? Seit dem Jahreswechsel geistern Überlegungen zur Verschärfung des Jugendstrafrechts und der Begriff ‚Bootcamp‘ durch die Medien und die Öffentlichkeit in Deutschland. Der hessiche Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat ‚Bootcamps‘ in seinem Landtagswahlkampf ins Spiel gebracht, nachdem in den vergangenen Wochen vermehrt Gewalttaten Jugendlicher bekannt wurden. Mit den amerikanischen ‚Bootcamps‘ haben deutsche Erziehungslager für jugendliche Straftäter allerdings wenig zu tun. Hier sollen Jugendliche eben nicht durch Gewalt und Demütigung zum Gehorsam erzogen werden. Im Gegenteil: Die jungen Menschen sollen lernen mit sich selbst klar zu kommen, ihre Aggressionen unter Kontrolle zu halten, ihrer Wut beim Sport Luft zumachen und Probleme mit Worte zu lösen. In Deutschland gibt es bereits vereinzelt solche Projekte. In Nordrhein-Westfalen wird das erste Erziehungscamp‘ am Niederrhein (Bedburg-Hau) entstehen. Roland Koch fordert, weitere solcher Camps einzurichten. Außerdem plant er straffällig gewordene Jugendliche zu einem Warnschuss-Arrest zu verurteilen. Dieser soll zur Abschreckung vor weiteren Straftaten dienen. Die Höchststrafe im Jugendstrafrecht möchte Koch und die CDU-Spitze von zehn auf 15 Jahre erhöhen. Ausländische Straftäter, sobald sie zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt wurden, sollen nach Kochs dafürhalten abgeschoben werden. Kochs politische Gegner werfen ihm einen schmutzigen Wahlkampf vor. Vorwürfe, er habe über zu viele kriminelle junge Ausländer geklagt und würde die Migrantinnen und Migranten als Sündenbock für seine gescheiterte Politik benutzen, wurden laut. Gerhard Schröder (Bundeskanzler ade) erhob den Vorwurf, Koch sei ‚auf dem rechten Auge blind‘ und wurde dabei vom Zentralrat der Juden unterstützt: ‚Das Niveau des Wahlkampes von Herrn Ministerpräsident Roland Koch unterscheidet sich kaum noch von dem der NPD‘. Straftaten Jugendlicher mit ausländerfeindlichem Hintergrund wurden von Koch (so gut wie) gar nicht in seinen Ausführungen berücksichtigt. Rückendeckung erhielt Hessens Ministerpräsident von Amtskollege Günther Beckstein (CSU). Dieser forderte in der Talkshow bei Anne Will die Abschiebung des türkischen Serientäters aus der Münchener U-Bahn. Beckstein vertrat die Ansicht, jemand, der über 40 Delikte begangen habe, sei nicht integriert und veletzte eklatant das Gastrecht. Mit seiner Meinung stand er allerdings ziemlich alleine da. Die NPD hingegen pflichtete Koch in einer Presseerklärung ihres Generalsekretärs Peter Marx bei: ‚Es ist der Verdienst von Roland Koch, die ungeschminkten Fakten hinter der antideutschen und mulitikulturellen Begriffs-Kosmetik endlich ans Licht gebrachte zu haben. Roland Koch hat auch recht, wenn er die inländerfeindlichen, rassistischen Gewalttaten auf eine in Deutschland herrschende, multi-kulturelle Verblendung zurückführt. Damit macht er letztendlich einen Teil der NPD-Positionen hoffähig …‘. Mitgliedsorganisationen der BAG KJS üben Kritik und beteiligten sich wie folgt an der Diskussion: * BILDUNG STATT DRILL – Katholsiche Jugend kritisiert Koch und CSU Angesichts der andauernden Debatte über Jugendgewalt, erklärte die Bundesvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, Andrea Hoffmeier: “ „Wer zündelt, muss sich nicht wundern, wenn ein Feuer ausbricht, das er nicht mehr löschen kann. Es ist das zweite Mal, dass Ministerpräsident Koch in seinem Wahlkampf populistisch Ängste von Menschen auf Kosten von Minderheiten schürt und einfache Rezepte verkündet. Jetzt rückt auch noch die CSU das Jugendstrafrecht in den Wahlkampf. Damit drohen im Schnellschuss Gesetze verabschiedet zu werden, die die Probleme verschärfen, anstatt sie zu lösen, vom gefährlichen Schüren von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus ganz zu schweigen. Grundsätzlich zeigen alle Statistiken und Erfahrungen: Hohe Strafen verhindern Kriminalität nicht. Gewalt ist für einen Teil der jungen Menschen das Mittel, um sich gegen vermeintliche Angriffe zu wehren und oft auch eine Reaktion auf Frustration, Ängste und Sorgen. Diese oft aufgestaute Wut, die sich Bahn bricht, denkt nicht an mögliche Folgen. Das Konzept „Abschreckung durch Strafe“ versagt folglich. Dies ist keine Entschuldigung, sondern soll deutlich machen, welche Handlungsansätze Erfolg versprechen und welche lediglich populistische, Sicherheit vorgaukelnde Argumente darstellen. Fachleute wissen: Das Jugendstrafrecht reicht vollkommen aus, aber die Rahmenbedingungen stimmen nicht. Es fängt wie immer – auch wenn viele es sozialpädagogisches Geschwätz nennen – mit der Prävention an. Wir lassen als Gesellschaft zu, dass immer mehr Kinder und Jugendliche für sich keine Zukunftschancen sehen und solche auch definitiv nicht haben. Studien wie Pisa belegen das. Bei näherer Betrachtung löst sich auch der immer wieder betonte und jetzt dem Wahlkampf dienende Aspekt der nationalen Herkunft der Täter in Wohlgefallen auf. Denn es sind nicht Kinder gut situierter, ausländischer Bildungsbürger, die straffällig werden. Es sind Jugendliche aus „Unterschichtsfamilien“, deren Probleme wie mangelnde Bildung, denen junger, deutscher Straftäter ähneln. Alle Straftäter sind auch ein Produkt unserer Gesellschaft. Soziale Integration ist und bleibt daher die beste Verhinderung von Gewalt. Auch rund um den Jugendstrafvollzug müssen sich Dinge verbessern. Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, angemessene Hilfen für die Entlassungsvorbereitung und die Phase nach der Entlassung, eine jugendgerechte Unterbringung und genügend sozialpädagogisch und therapeutisch geschultes Personal: Das alles gehört zu einem modernen und effektiven Strafvollzug. Vor diesem Hintergrund wird noch deutlicher, wie folgewidrig die Forderungen nach „Warnschussarresten“ – in ohnehin überfüllten Gefängnissen – und die Erhöhung der Strafe auf 15 Jahre sind. Experten wissen, dass Gefängnisaufenthalte kriminelle Karrieren eher fördern, anstatt sie zu verhindern. Ein Ausbau des Täter-Opfer-Ausgleichs nach Straftaten, der dem Täter die Sichtweise des Opfers nahe bringt, erscheint da sinnvoller. Bei allem müssen wir im Blick behalten, dass wir als demokratische, christliche – oder humane – Gesellschaft, neben dem berechtigten Anliegen nach Schutz, Menschen nicht einfach wegschließen können. Wir müssen sie in die Gesellschaft integrieren. Und Integration in eine demokratische Gesellschaft kann nicht durch Wegschließen oder Drill, sondern nur durch Bildung gelingen.“ “ * CARITAS: GESETZLICHE SANKTIONSMÖGLICHKEITEN REICHEN AUS – Oberstes Ziel der Strafe ist Resozialisierung “ Der Deutsche Caritasverband (DCV) teilt die Auffassung des Deutschen Richterbundes, der zu Folge eine Verschärfung des Jugendstrafrechtes nicht erforderlich ist. Der Staat verfügt bereits jetzt über eine Bandbreite von Instrumenten, die es ermöglicht, auf delinquentes Verhalten Jugendlicher adäquat zu reagieren. Wichtig ist dabei eine rasche Reaktion, die weitere Erhöhung der Sanktionsschwere würde dagegen nach Erkenntnissen der Kriminologie und der Jugendhilfe nichts bewirken. Gewalt sei für einen Teil der jungen Menschen das Mittel der Wahl, um sich gegen vermeintliche Angriffe zu wehren, aber oft auch eine Reaktion auf Frustrationen, Ängste und Sorgen. Anlass und Reaktion stehen dabei nicht selten in einem krassen Missverhältnis. ‚Wir wenden uns gegen jegliche Gewalt, auch die von Jugendlichen‘, verdeutlicht Peter Neher, Präsident des DCV. ‚Entscheidend ist jedoch, dass die getroffenen Maßnahmen weitere Gewalttaten verhindern.‘ Der Ruf nach Verschärfung des Strafrechts und auch die Forderung bei über 18 Jährigen grundsätzlich das Erwachsenenstrafrecht anzuwenden, sei auf den ersten Blick nachvollziehbar. Menschen hätten ein Recht auf Sicherheit im Alltag. Die geforderten Verschärfungen werden diese Sicherheit aber nicht erzeugen. Das derzeitige Jugendstrafrecht ist kein ‚Strafrecht light‘. Es zeichnet sich durch einen vielfältigen Katalog von Maßnahmen aus, die insbesondere die Erziehung der Heranwachsenden zur Aufgabe haben. Dadurch wird in der Praxis eine geringere Rückfallquote erreicht, als bei den geforderten Abschreckungsmaßnahmen. Ist ein Aufenthalt im Jugendstrafvollzug angebracht, braucht es aber auch dort ausreichend Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für jugendliche Straftäter. Angemessene Hilfen für die Entlassungsvorbereitung und die Phase nach der Entlassung sind sicherzustellen. Dies ist derzeit nicht der Fall. Der DCV fordert radikal verbesserte Rahmenbedingungen im Jugendstrafvollzug. Eine jugendgerechte Unterbringung und genügend sozial-pädagogisch und therapeutisch geschultes Personal sind die zwei wichtigsten Voraussetzungen für den angestrebten Neuanfang der Täter. “ * SKF: AUGENMAß NICHT VERLIEREN “ Die momentane Debatte um die Verschärfung des Jugendstrafrechts,ausgelöst durch mehrere Vorfälle in den letzten Tagen, halten der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) und der Katholische Verband für soziale Dienste in Deutschland (SKM), in der augenblicklich aufgeheizten Form für eine populistische Scheindebatte. Selbstverständlich ist dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit vor solchen Übergriffen Rechnung zu tragen, aber auf die Umgangsweise mit den Ursachen und dem daraus folgenden Handeln kommt es an. Die Rückfallquote jugendlicher haftentlassener Straftäter zeigt, dass der Jugendstrafvollzug allein nicht das geeignete Mittel ist, insbesondere Jugendliche, die mit massiven Straftaten auffällig geworden sind, auf den richtigen Weg zu bringen. Jugendliche brauchen Perspektiven und Unterstützung, aber auch klare Grenzen. Spezifische Integrationsprobleme von Jugendlichen mit Migrationshintergrund lassen sich mit einem verschärften Jugendstrafrecht nicht lösen. SkF und SKM fordern vielmehr gezielte Maßnahmen im Bereich der Prävention, die früh ansetzen. Dazu gehören zum einen intensive und nachhaltige Begleitung durch Fachkräfte in der Jugendhilfe und zum anderen vor allem bessere Bildungschancen, die die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen im Hinblick auf ihre Wertigkeit aufbrechen. Die beiden Verbände halten bereits jetzt entsprechende pädagogische Angebote vor. Mit dem Projekt „ Michel“, soll das Ziel verfolgt werden den Jugendlichen bereits im Vorfeld die Konsequenzen ihres strafbaren Handelns aufzuzeigen und erlebbar zu machen, um eine Verfestigung von unerwünschtem Handeln zu verhindern. Der sogenannte „Täter-Opfer- Ausgleich“, nach Straftaten dient dazu, mit intensiver Begleitung von Fachkräften, dem Täter die Sichtweise des Opfers nahe zu bringen und Wiedergutmachungsmöglichkeiten auszuloten. Damit können Chancen zur Resozialisierung eröffnet werden. Das konsequente Zusammenwirken von Maßnahmen nach dem Jugendstrafrecht und der Erziehungshilfe erscheint daher als ein probates Mittel des gezielten Entgegenwirkens auch in schwierigen Fällen zu sein. Deshalb fordern die Verbände ergänzend sogenannte interdisziplinäre „Clearingstellen“, die erzieherische Maßnahmen planen, begleiten und durchführen. Die Politik ist gefordert für solche Maßnahmen ausreichende Mittel inklusiv für Modellprojekte zur Verfügung zu stellen, anstatt, dass wie in den letzten Jahren geschehen, besonders im Bereich der Jugendhilfe drastisch gekürzt wird. SkF und SKM begrüßen die aktuelle Debatte um das uns seit langem bekannte Problem, sehen aber übereilte Maßnahmen, die zeigen sollen „wo der Hammer hängt“, nicht als zielführend an. “ Die Stellungnahme/ Petition des Kriminologen Wolfgang Hinz im Volltext entnehmen Sie bitte dem Anhang. Deutlich führt er sowie eine Vielzhal weiterer Unterzeichner aus, dass für eine Verschärfung des Jugendstrafrechts kein Anlass besteht.
Quelle: BAG KJS, Tagespresse, KNA, Pro Integration