GEGENENTWURF ZUM „KOOPERATIVEN JOBCENTER“ VOM LANDKREISTAG Das Bundesverfassungsgericht hat am 20.12.2007 die gemeinsame Wahrnehmung der Hartz IV-Aufgaben von Bundesagentur für Arbeit einerseits und Landkreisen und kreisfreien Städten andererseits durch die Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) nach § 44b SGB II zur verfassungswidrigen Mischverwaltung erklärt. Karlsruhe hat dem Gesetzgeber aufgegeben, bis Ende 2010 unter Berücksichtigung der 2008 vorzulegenden Evaluationsergebnisse zur bisherigen Aufgabenwahrnehmung eine verfassungskonforme gesetzliche Neuregelung zu treffen. Die Vorschrift des § 44b SGB II verletzt laut Bundesverfassungsgericht die Landkreise in ihrem Anspruch auf eigenverantwortliche Aufgabenerledigung und verstößt gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes, bleibt aber bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens jedoch bis 31.12.2010, in Kraft. Der Deutsche Landkreistag beteiligt sich mit vorliegendem Positionspapier, das vom Präsidium in seiner Sitzung im Februar einstimmig beschlossen wurde, an der Diskussion um die Neuorganisation der SGB II-Verwaltung. Die Broschüre „Das SGB II dauerhaft sachgerecht und zukunftsfähig organisieren“ möchte einen konstruktiven Beitrag zur Weiterentwicklung und Verbesserung der organisatorischen Strukturen leisten und legt hierbei insbesondere die Vorzüge einer stärkeren kommunalen Aufgabenverantwortung dar. Aus Sicht des Landkreistages wird hiermit ein konstruktiver Gegenentwurf zu den Vorschlägen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für ein „Kooperatives Jobcenter“ formuliert, das auf dem Modell einer getrennten Aufgabenwahrnehmung fußt. Bitte lesen Sie dazu die Meldung vom 18. Februar 2008 im Archiv der Jugendsozialarbeit News. Auszüge aus dem Konzept: “ A. AUSGANGSPUNKT: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts … Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gebietet dem Gesetzgeber bis Ende 2010 Regelungen zu treffen, die der Kompetenzordnung des Grundgesetzes für Bund und Länder entsprechen, eine Zusammenführung der SGB II-Leistungen in einer Hand gewährleisten und eine klare Verantwortungszuordnung für die Gesetzesausführung sicherstellen. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden dargestellt, – dass die kommunale Trägerschaft den vorzugswürdigen Lösungsansatz darstellt, – dass die getrennte Aufgabenwahrnehmung dauerhaft keine Lösung sein kann, – wie die Finanzierungsfragen im Rahmen geltenden Verfassungsrechts einer Neuregelung gelöst werden können und – welches weitere Vorgehen zielführend ist. B. LEISTUNGEN AUS EINER HAND ODER GETRENNTE AUFGABENWAHRNEHMUNG? * Kommunale Trägerschaft in der Sache vorzugswürdig 1. Es besteht ein verfassungsgewollter prinzipieller Vorrang einer dezentralen, also kommunalen, vor einer zentral und damit staatlich determinierten Aufgabenwahrnehmung. … Die Verfassung bestimmt ausdrücklich den Vorrang der dezentralen Aufgabenwahrnehmung. Dem trägt die kommunale Gesamtträgerschaft für das SGB II Rechnung. … 2. Die Erbringung aller Leistungen „aus einer Hand“ und die Nutzung regionaler Kooperationspotenziale sind entscheidende Vorteile für die kommunale Aufgabenwahrnehmung. … Die Kommunen können hierbei auf weitere, eigene Dienstleistungen und Ressourcen ebenso zurückgreifen wie auf langfristig etablierte und bewährte Netzwerke mit allen relevanten Akteuren der Region. Die Dienstleistungen und Kooperationsbeziehungen werden für eine erfolgreiche Aufgabenwahrnehmung im SGB II eingesetzt und mit den Zielen der Arbeitsförderung verknüpft, wie z. B. Dienstleistungen der Wirtschaftsförderung und Netzwerke mit Arbeitgebern und Wirtschaftsverbänden, Aktivitäten der Jugend(berufs)hilfe zur Verbesserung der Chancen von Jugendlichen für die soziale und berufliche Integration insbesondere beim Übergang von der Schule in den Beruf, Aktivitäten im Schul- und Bildungsbereich, Angebote zur Kinderbetreuung durch das Jugendamt sowie in Kooperation mit anderen Trägern, soziale Angebote wie Schuldnerberatung, Sucht- und Drogenberatung, psychosoziale Betreuung sowie Angebote im Bereich der Gesundheitsförderung. 3. Die kommunale Aufgabenwahrnehmung ermöglicht eine unbürokratische, bürgernahe und effiziente SGB II-Ausführung. … 4. Kreisangehörige Gemeinden können bei kommunaler Trägerschaft stärker in die Aufgabenwahrnehmung einbezogen werden und sich in sozialpolitische Fragestellungen einbringen. … 5. Die Kommunen können eine starke, regionale Arbeitgeberorientierung gewährleisten. Die Kommunen können für die Arbeitsvermittlung einen eigenen Arbeitgeberservice nutzen, der den Kontakt zu den Unternehmen der Region vertieft. Ein persönlicher Ansprechpartner für jedes Unternehmen kann die Unternehmen bei der Personalauswahl durch eine individuelle, passgenaue, unbürokratische und schnelle Vermittlung von motivierten Mitarbeitern unterstützen. Das Dienstleistungsspektrum für die Unternehmen reicht von der persönlichen Beratung bis hin zu Fördermöglichkeiten wie Eingliederungszuschüssen, Trainingsmaßnahmen und passgenauer Qualifizierung. … Die Arbeitsvermittlung und der Arbeitgeberservice der Kommunen werden durch weitere kommunale Dienstleistungen flankiert … 6. Soweit überregionale Vermittlung in Betracht kommt, kann sie von den Kommunen durch Kooperation mit anderen Kommunen oder durch Beauftragung der BA sichergestellt werden. … Kooperationen mit anderen Arbeitsmarktdienstleistern und Netzwerken kommen ebenso infrage wie eine Zusammenarbeit mit der BA, deren Kerngeschäft die Vermittlung im Bereich des SGB III ist und bleibt. Ohne Weiteres können auf diesem Wege national wie international Bewerber und Arbeitgeber zusammengebracht werden. … Allerdings darf die Bedeutung der Vermittlung im Bereich des SGB II insgesamt nicht überschätzt werden. Es handelt sich bei vielen Leistungsempfängern um Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind – soweit sie überhaupt eine Erwerbsbiografie aufweisen. Insofern haben viele schon die SGB III-Leistungen der BA in Anspruch genommen, ohne dass dies von Erfolg gekrönt gewesen wäre. Zudem stehen oftmals grundlegende soziale Problemlagen einer Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt entgegen. … 7. Die Verknüpfung von Arbeitsmarktintegration mit sozialer Integration sowie die Erfahrung im Umgang mit schwierigen Zielgruppen sind kommunale Stärken. … Viele Kommunen haben für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit spezielle Einrichtungen geschaffen. Mit ihren Aktivitäten haben sie die doppelte Zielsetzung von Arbeitsmarktintegration und sozialer Integration verfolgt. Sie haben insbesondere Erfahrungen mit schwierigen Zielgruppen gesammelt, wie Langzeitarbeitslosen, Menschen in sozialen Problemlagen, Menschen mit gesundheitlichen Problemen, sozial benachteiligten Jugendlichen und Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Zielgruppen prägen auch heute die Arbeit im SGB II. … Es hat sich gezeigt, dass die Instrumente der „klassischen“ Arbeitsförderung nur wenig geeignet sind, diese Personengruppen in Arbeit zu vermitteln. Für alle anderen Maßnahmen jedoch verfügen die Kommunen über die erforderliche Expertise. Überdies knüpft die Grundsicherung für Arbeitsuchende in ihrer leistungsrechtlichen Ausgestaltung an die alte Sozialhilfe nach dem BSHG an. Hier wie dort ist die Hilfebedürftigkeit der Person bzw. Bedarfsgemeinschaft die zentrale Anspruchsvoraussetzung. Die Kommunen verfügen über langjährige Erfahrung bei der Gewährung solcher Fürsorgeleistungen. 8. Das in den ARGEn tätige BA-Personal kann von den Kommunen übernommen werden.… * Getrennte Aufgabenwahrnehmung voller Probleme Die vom BMAS angedachte dauerhaft getrennte Aufgabenwahrnehmung zwischen Bund und Kommunen stellt einen völligen Bruch mit der seit 2002 allseits für erforderlich gehaltenen Zusammenführung der Leistungen in einer Hand dar und wirft zudem erhebliche Probleme auf. 1. Gegenüber den Zielen der SGB II-Reform erfolgt ein doppelter Rückschritt. … 2. „Auf kaltem Wege“ kommt es zu einer faktischen Bundesträgerschaft. … 3. Die Kommunen werden auf die Auszahlung der Unterkunftskosten und die Erbringung der flankierenden Leistungen reduziert. … 4. Notwendige gesetzliche und tatsächliche Änderungen sind unumgänglich. … 5. Für die Leistungsempfänger kommt es zu einer Schlechterstellung. … 6. Kommunales Personal muss von der BA übernommen oder es muss ihm gekündigt werden. … D. AUSBLICK UND WEITERES VORGEHEN 1. Kein Ersticken der kommunalen Trägerschaft durch Schnellschüsse Wenn die vom BVerfG intendierte grundlegende – auch die Erkenntnisse aus der kommunalen Trägerschaft im Experimentiermodell aufgreifende – Neuregelung für die Organisation des SGB II umgangen wird, haben die kommunale Trägerschaft ebenso wie die bestehenden Optionen oder andere sachgerechte Lösungsansätze keine Möglichkeit, ernsthaft diskutiert und erwogen zu werden. Mit der vom BMAS beabsichtigten zeitnahen Umsetzung der dauerhaft getrennten Aufgabenwahrnehmung wäre das Ende der kommunalen Trägerschaft faktisch besiegelt, indem die vom BVerfG aufgeworfene Träger- und Organisationsfrage nur vordergründig („Kooperationsmodell“) gelöst, in Wirklichkeit aber den wesentlichen Inhalten der Entscheidung zuwidergehandelt würde. Damit soll eine Diskussion über die Trägerschaft gänzlich vermieden werden. Stattdessen sollen Fakten für eine weitgehende Bundesträgerschaft auf kaltem Wege geschaffen werden. Wenn das BMAS ausführt, dass die Trägerschaft der BA einerseits und der Kommunen andererseits durch die BVerfG-Entscheidung nicht nur unberührt bleibe, sondern sogar gestärkt worden sei und es aufgrund dessen das Anliegen des BMAS sei, „die positiven Errungenschaften der bisherigen Organisation soweit als möglich zu wahren“, so verkennt dies die vom BverfG mehrfach hervorgehobene Notwendigkeit der Ermöglichung der Aufgabenwahrnehmung aus einer Hand und die (allein) dazu eingeräumte dreijährige Neuregelungsfrist völlig. 2. Grundlegende Organisationsentscheidung erforderlich Bund und Kommunen geben für das SGB II derzeit insgesamt ca. 50 Mrd. € im Verhältnis 3:1 aus. Es handelt sich nicht um eine unter vielen Aufgaben, sondern um das Herzstück der Sozialpolitik für alle erwerbsfähigen Menschen im Alter von 15 bis zu 67 Jahren sowie für deren im Haushalt lebende Familienangehörige. Daneben ist das SGB II für alle diese Menschen außerhalb der Arbeitslosenversicherung die maßgebliche arbeitsmarktpolitische Leistung. Vor diesem Hintergrund ist eine verfassungskonforme, sachgerechte und zukunftssichere Gesetzesausführung unabweisbar. Die Frage der sachgerechten Organisation dieser Aufgabe stellt nicht eine nebensächliche politische Aufgabe dar, sondern verlangt eine grundlegende von Bund und Ländern zu treffende Struktur- und Organisationsentscheidung, bei der die föderale Grundordnung des Grundgesetzes berücksichtigt werden muss. Zudem enthält das SGB II selbst den vom BVerfG ausdrücklich respektierten Auftrag, im Jahr 2009 seitens der gesetzgebenden Organe die Schlussfolgerungen aus der Evaluation der Aufgabenträgerschaft für die dauerhafte Normierung der Aufgabenwahrnehmung vorzunehmen. 3. Relevanz für Föderalismusreform II Insofern spricht nichts dafür, kurzfristig Fakten zu schaffen, indem die Arbeitsgemeinschaften umgeformt werden. Vielmehr drängt es sich geradezu auf, die Organisationsfrage des SGB II mit den hierfür erforderlichen Kosten und Lastenverschiebungen zwischen Bund und Ländern mit zum Erörterungsgegenstand der aktuellen Föderalismusreform II zu erheben. Dadurch könnte die Finanzierungs- wie die Organisationsfrage im Gesamtkontext der Erörterung der Verwaltungsorganisationsthemen dergestalt gelöst werden, dass eine dauerhafte, mit dem Grundgesetz vereinbarte wie sachgerechte Zuordnung der Verwaltungszuständigkeit erfolgt. … 4. Öffnung der Optionskontingentierung Das BVerfG führt an einer Stelle aus, dass nicht ersichtlich sei, weshalb die Einräumung der kommunalen Option nicht auch ohne die im Gesetz vorgesehene planmäßige Beschränkung möglich sein sollte. Diese Ausführungen legen nahe, an eine Erweiterung und dauerhafte Festschreibung der Optionsmöglichkeit oder sogar an eine dauerhafte Abschaffung der Kontingentierung zu denken, so dass sich alle Träger zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils für eine kommunale Trägerschaft entscheiden könnten. Ein solches Modell, das hinsichtlich der Finanzierung auf dem Sonderlastenausgleich für einzelne Kommunen nach Art. 106 Abs. 8 GG beruht und schon deswegen eine flächendeckende Inanspruchnahme durch (nahezu) alle Kommunen nicht zulässt, hätte den Vorteil, allen kommunalen Trägern, die sich eine vollständige Aufgabenwahrnehmung zutrauen, eine Aufgabenerfüllung aus einer, nämlich ihrer Hand zu ermöglichen, ohne zugleich alle diejenigen Aufgabenträger, die sich dies nicht zutrauen oder die sich mit anderen Erfüllungsstrukturen arrangiert haben, zu einer vollständigen Aufgabenwahrnehmung zu zwingen. Allerdings würden die derzeitigen Regelungen zur Aufgabenfinanzierung und zur Aufsicht unverändert bleiben. Dies würde hinsichtlich der Aufsichtsbefugnisse dauerhaft zu strukturellen Verwerfungen und hinsichtlich der Finanzierung dauerhaft zu einem Auseinanderfallen von Wahrnehmungs- und Finanzierungsverantwortung führen. Gegenüber der getrennten Aufgabenwahrnehmung bestünde bei gleicher Aufsichts- und Finanzierungsstruktur der deutliche Vorteil der Aufgabenerfüllung aus einer Hand bei dem dann erweiterten Kreis der Optionskommunen gegenüber einer kommunalen Vollträgerschaft für alle bestünde ein gravierender Nachteil im Fortbestand des Auseinanderfallens von Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung sowie im Fortbestand der bestehenden Doppelaufsicht. “ Den Volltext des Papieres entnehmen Sie bitte dem Anhang.
http://www.kreise.de/landkreistag
Quelle: Deutscher Landkreistag
Dokumente: sgb_II_neu_denken_Landkreistag.pdf