Bahn frei für eine umfassende Reform des Vergaberechts – Was heißt das für Arbeitsmarktdienstleistungen?

Der Europäische Gesetzgeber hat mit dem Paket zur Modernisierung des europäischen Vergaberechts ein vollständig überarbeitetes Regelwerk für die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen vorgelegt. Das Regelwerk ist bis zum 18. April 2016 in deutsches Recht umzusetzen. Den ersten Aufschlag hat die Bundesregierung mit einem Kabinettsbeschluss gemacht. Das Kabinett hat sich auf die von Wirtschaftsminister Gabriel vorgelegten „Eckpunkte zur Reform des Vergaberechts“ geeinigt. Die Eckpunkte zur Reform des Vergaberechts sehen eine Vereinfachung der komplexen Struktur des deutschen Vergaberechts vor. Bislang waren die Vorschriften zur Vergabe von Lieferungen und Dienstleistungen über verschiedene Regelwerke verteilt. Künftig sollen sie im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und in Rechtsverordnungen zusammengeführt und vereinheitlicht werden. Vermutlich wird es keine Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A) mehr geben, in der bisher die Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistunge geregelt ist. Soziale, ökologische und innovative Aspekte sollen stärker berücksichtigt werden können, was grundsätzlich positiv zu bewerten ist. Für Sozialverbände und Gewerkschaften ist das die Einflugschneise für ihre Forderungen nach einer Kehrtwende bei der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen.

Bedingungen für Arbeitsmarktdienstleistungen sorgen für Preisdruck

Die gesetzlichen Anforderungen, gerichtliche Entscheidungen und Entscheidungen der Vergabekammer führten seit 2004 dazu, dass im Bereich der Arbeitsmarktdienstleistungen ein schädlicher Wettbewerb eingsetzt hat. Weiter verschärft wurde die Situation durch die Einführung von zwei Rechtskreisen im Zuge der Hartz-Reformen sowie die Vergabepraxis von Arbeitsagenturen und Jobcentern. Entwicklet hat sich ein enormer Preisdruck, der eine qualitativ gute Aus- und Weiterbildung infrage stellt und die Beschäftigten in prekäre, niedrig entlohnte Arbeitsverhältnisse zwingt. Für eine Neuausrichtung der Vergabe macht sich die Bundestagsfraktion DIE LINKE stark. Im Zuge der anstehenden Reformen im deutschen Recht wollte die Linke von der Bundesregierung wissen, wie sie den Handlungsbedarf einschätze. Auch weitere Interessengruppen haben Kritikpunkte am aktuellen Vergaberecht sowie Standpunkte und Forderungen zur zukünftigen Gestaltung formuliert.

Bewertung der Antwort der Bundesregierung durch DIE LINKE

Aus Sicht der LINKEN grenzt die Antwort der Bundesregierung an Realitätsverweigerung. Es wird kein Handlungsbedarf gesehen. Die Abgeordnete Sabine Zimmermann bewerte die Antwort wir folgt: „Die Bundesregierung kann oder will keine umfassende Auskunft über die Entwicklung der Kostensätze der Maßnahmen geben. Nur eines teilt sie mit: Von 2010-2014 seien die durchschnittlichen Monatskostensätze für standardisierte Vergabemaßnahmen für Ausbildungsleistungen zwischen 4,8% bis 30% gestiegen. Offen bleibt, wie sich die Kostenentwicklung bei den meisten Maßnahmen gestaltet und inwiefern bzw. zu welchem Anteil die Kosten die Löhne der Beschäftigten abbilden.

Das rosige Bild, das die Bundesregierung von den Bedingungen in der Aus- und Weiterbildung malt, passt nicht zu den von ihr genannten Beschäftigungszahlen. In dem Bereich der beruflichen Erwachsenenbildung hat die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von 2009 bis 2013 um ein Viertel abgenommen, von 105.700 auf 79.300. Da die betriebliche Weiterbildung in den vergangen Jahren zugenommen hat, dürfte der Aderlass maßgeblich auf die restriktive Vergabepolitik in der Arbeitsförderung nach SGB II und SGB III zurückgehen. Die von Gewerkschaften und Verbänden kritisierte Verdrängung von Beschäftigten in schlechtbezahlte Honorartätigkeit wird statistisch gar nicht erfasst. Angaben zur Wirksamkeit des Mindestlohns und seiner möglichen Umgehung bleibt die Bundesregierung schuldig.

Nachfragen bei der Bundesagentur für Arbeit dokumentieren deutlich ein zurückgehendes Vergabevolumen. 2009 lag das Einkaufsvolumen noch bei 3,3 Mrd. Euro, 2013 bei nur noch 2,2 Mrd. Euro. Für 2014 lag das Einkaufsvolumen bis Oktober bei 1,2 Mrd. Euro. Von 2009 bis 2013 halbierten sich die eingekauften Teilnehmerplätze von 1,29 Millionen auf 0,58 Millionen.“

Das Wichtigste der Eckpunkte zur Reform des Vergaberechts

  • Geschaffen werden soll ein anwenderfreundliches und modernes Vergaberecht, das rechtssichere Vergaben im Wettbewerb und die wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Haushaltsmittel ermöglicht.
  • Eine wirtschaftliche Beschaffung durch Wettbewerb, Transparenz und Nichtdiskriminierung soll sichergestellt werden.
  • Soziale, ökologische und innovative Aspekte sollen im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz gestärkt werden.
  • Kommunale Handlungsspielräume sollen erhalten bleiben.
  • Die Veragbe von Dienstleistungen im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich soll erleichtert werden. Insbesondere für soziale Dienstleistungen sollen vereinfachte Dienstleistungen vorgesehen sein.

Zeitplan der Umsetzung

  • Kabinettbeschluss zur GWB-Novelle Frühjahr 2015
  • Gesetzgebung Bundestag und Bundesrat Herbst 2015
  • Kabinettbeschluss zu den Verordnungen Herbst 2015
  • Bundesrat-Zustimmung Winter 2015/2016
  • Inkrafttreten Umsetzung 18. April 2016

Vorschläge für eine sachgerechte und angemessene Vergabereform in Umsetzung der EU Richtline RL 2014/24

In einem gemeinsamen Positionspapier unterbreiten Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (BBB), bag arbeit, DGB, GEW und ver.di Anforderungen an das künftige Vergaberecht für die Ausschreibung von Arbeitsmarktdienstleistungen. Aus ihrer Sicht bietet die neue EU-RL mit Blick auf Artikel 18, Abs. 2 erweiterte Möglichkeiten, um den Schutz der Beschäftigten und der Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Auszüge aus den Empfehlungen des Positionspapiers:

  • „(…) Gemäß Artikel 18 Abs. 2 müssen die Mitgliedsstaaten dafür Sorge tragen, dass die Wirtschaftsteilnehmer die arbeitsrechtlichen Verpflichtungen einhalten, „die durch Rechtsvorschriften der Union, einzelstaatliche Rechtsvorschriften, Tarifverträge oder internationale Vorschriften festgelegt sind“. Wir fordern, bei der Eignung der Bieter zukünftig verbindlich zu prüfen, ob diese Anforderungen eingehalten wurden.
  • Um die fachliche Weiterentwicklung berücksichtigen und aufgreifen zu können, müssen die Auftraggeber die Expertise der Bieterseite wie auch der örtlichen Leistungsträger in die Ausgestaltung der Leistungsbeschreibungen einbeziehen. Die unterschiedlichen Verfahrensarten des Vergaberechts (offenes Verfahren, nicht offenes Verfahren, Verhandlungsverfahren, wettbewerblicher Dialog, Innovationspartnerschaft) sollen deshalb gleichberechtigt nebeneinander stehen. (…) Die Auftraggeber müssen die jeweils gewählte Verfahrensart begründen.
  • Tariftreue und die Einhaltung von Qualitätsstandards sind Gesichtspunkte der Zuverlässigkeit und Eignung eines Bieters. Sie dürfen nicht im Rahmen der Zuschlagsentscheidung zum Wettbewerbshindernis werden. Um eine Refinanzierung der vom Bieter nicht beeinflussbaren Gestehungskosten wie etwa tariflich vereinbarter Lohnkosten oder von Qualitätsstandards (z. B. Kosten für den barrierefreien Umbau eines Standorts) im Vergabeprozess angemessen sicherstellen zu können, darf sich die Zuschlagserteilung nicht allein nach dem Preis richten. Vielmehr bedarf es eines Kostenkorridors und einer Kostenuntergrenze. (…)
  • Die Vergabeverordnung ermöglicht bereits jetzt in § 4 Abs. 2 VgV, bei der Zuschlagserteilung einen besonders qualifizierten Personaleinsatz zu berücksichtigen. Bei der Umsetzung der Richtlinie muss die Einschränkung entfallen, die das Gewicht dieses Wertungsgesichtspunkts auf maximal 25 Prozent der Gesamtwertung begrenzt. Eine Bewertung der Erfolge der bisher durchgeführten Maßnahmen kann nur dann ein Kriterium sein, wenn die Kriterien für den Erfolg und die Qualität sachgerecht und rechtssicher definiert werden. Derzeit fehlt es (noch) an einem sachgerechten System zur Messung des Erfolgs und der Qualität sozialer Dienstleistungen. (…)
  • Gegenstand der Ausschreibung müssen langfristige Rahmenverträge mit den Anbietern sein. Zu berücksichtigen sind die Einbindung des Anbieters in die Strukturen des örtlichen und regionalen Arbeitsmarktes sowie ein pädagogisches- und arbeitsmarktpolitisches Gesamtkonzept. Nur so lassen sich Kontinuität ermöglichen und die regionale Eingebundenheit der Bieter in Netzwerke etwa von Kammern, Unternehmen, Berufsschulen, Jugendhilfe, Jobcentern etc. gewährleisten. (…)“

Die hier in Auszügen zitierten Vorlagen, also das Positionspapier von BBB, bag arbeit, DGB, GEW und ver.di, die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linken sowie die „Eckpunkte der Vergaberechtsreform“ enthält diese Zusammenstellung.

Quelle: BMWi; Die Linke; bag arbeit

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