BIBB-Hauptausschuss nimmt Stellung zum Berufsbildungsbericht 2011

Der Hauptausschuss des Berufsbildungsinstituts (BIBB) hat zum vom Bundesbildungsministerium (BMBF) vorgelegten Entwurf des Berufsbildungsberichts Stellung genommen: Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge konnte gesteigert werden, auch wenn sie nicht das Niveau von 2007 oder 2008 erreichte. Noch immer gibt es Regionen, in denen die Anzahl der Bewerber/-innen deutlich größer ist als die der Ausbildungsplätze, die von Unternehmen angeboten werden. In den östlichen Bundesländern hingegen gibt es einen demografiebedingten strukturellen Mangel an Ausbildungssuchenden. Dies und der Abbau außerbetrieblicher Ausbildungen werden Folgen für die Deckung des Fachkräftebedarfs haben. Angesichts der unterschiedlichen Trends und Entwicklungen auf dem Ausbildungsmarkt fordert der Hauptausschuss eine integrierte Ausbildungsberichterstattung. Die Erhöhung der betrieblichen Ausbildungskapazitäten sieht der Ausschuss als ebenso wichtig an wie die Steigerung der Attraktivität der dualen Berufsausbildung. Für leistungsschwächere Jugendliche werden zusätzliche Aktivitäten für eine möglichst nahtlose Integration in den Ausbildungsmarkt gefordert. Die Arbeitgeber wollen für speziell förderungsbedürftige Jugendliche Einstiegsqualifizierung (EQ) mit gezielten Unterstützungsmaßnahmen wie abH kombinieren zu EQPlus.

Die gemeinsame Stellungnahme des Hauptausschusses sowie die Einzelstellungnahmen der Arbeitgeberseite und der Arbeitnehmervertreter sind in dieser Zusammenstellung wiedergegeben.

A. Auszüge aus der Gemeinsamen Stellungnahme des BIBB-Hauptausschusses:

„(…) Fachkräfte sichern – Potenziale erschließen

(…) Gerade vor dem Hintergrund der zwar tendenziell sinkenden, aber noch immer hohen Arbeitslosigkeit ist dringender Handlungsbedarf angezeigt. Dabei sind die Prognosen regional und sektoral sehr unterschiedlich. Nicht alle Branchen sind gleichermaßen von einer Fachkräftelücke betroffen. Die Auswirkungen des demografischen Wandels und den damit verknüpften Folgen für den Fachkräftemarkt sind bereits jetzt zu spüren.

Es gibt zahlreiche Handlungsmöglichkeiten, um alle vorhandenen Kompetenzen, Fähigkeiten und Begabungspotenziale von Jugendlichen und Erwachsenen besser erschließen zu können. Besonders bedeutende, fachkräfterelevante Faktoren sind die Bereiche der Aus- und Weiterbildung.

Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sollten bei dem Erhalt und Ausbau von einer qualitativ hochwertigen Ausbildung mit angemessener Vergütung, guten Arbeitsbedingungen und beruflicher Perspektive unterstützt werden. (…)

Den Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf systematisieren

Gerade auch unter dem Blickwinkel des künftigen Fachkräftebedarfs gilt es, den Fokus von den (weniger erfolgreichen) kurativen Maßnahmen des „Übergangssektors“ zu verschieben auf präventive Verfahren, die bereits in den 7. oder 8. Klassen einsetzen. Hierzu müssen die Berufsorientierung mit den Elementen Potenzialanalyse, Entwicklung berufsrelevanter Kompetenzen sowie Beratung, Berufswegeplanung und Begleitung optimiert und darauf aufbauend die Übergänge zwischen Schule und Ausbildung bzw. Studium systematisch gestaltet werden. Dies minimiert einerseits falsche Ausbildungs- oder Studienwahlentscheidungen (auch leistungsstärkerer Jugendlicher) mit dem Effekt der besseren Nutzung der vorhandenen Ausbildungs- und Studienangebote und ermöglicht andererseits, dass leistungsschwächere Jugendliche mitgenommen werden und eine Chance auf Ausbildung und Berufseinstieg erhalten.

Über die Regelsysteme des Sozialgesetzbuchs (SGB) II, III und VIII, schulische Angebote sowie Projektförderungen von Bund, Ländern und Kommunen gibt es eine Vielzahl an Angeboten im Übergang von der Schule in den Beruf. Diese sind aber nur selten aufeinander abgestimmt, geschweige denn entsprechen der skizzierten gezielten und individuellen Berufswegeplanung. Es sind daher grundsätzlich keine zusätzlichen Finanzmittel notwendig. Ein transparentes, auf klare Förder- und Angebotslinien reduziertes System der Hilfsangebote, verbunden mit einer individuellen Begleitung der Jugendlichen sowie Koordination von Maßnahmen- und Beratungsangeboten und gegebenenfalls Steuerung vor Ort ist aufzubauen, damit die Jugendlichen passgenaue Hilfen bekommen mit dem Ziel der frühzeitigen Integration in Ausbildung. Hier bedarf es der Bereitschaft aller Finanziers auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene, ihre Aktivitäten strukturell zusammenzuführen. Dies würde auch die Möglichkeiten verbessern, die Berufsvorbereitung zu dualisieren, den Lernort Betrieb zu stärken und bessere Übergangsquoten in betriebliche Ausbildung zu schaffen. Ein solches tatsächliches System des Übergangs stärkt die duale Ausbildung und erhöht betriebliche Ausbildungskapazitäten, vermindert bildungsökonomische Fehlallokationen und Bildungsabbrüche und erleichtert den Berufsabschluss für Jugendliche mit unterschiedlichen Potenzialen und Voraussetzungen.“

B. Auszüge aus der Stellungnahme der Arbeitgeber:

„(…) Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt weiter verbessert

  • (…) Zum 30. September 2010 wurden 560.073 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. Das sind zwar geringfügig weniger (-0,8 %) als im Vorjahr. Hierbei muss allerdings auch berücksichtigt werden, dass die Zahl der Schulabgänger nochmals deutlich zurückgegangen ist und somit weniger Bewerber für eine duale Berufsausbildung zur Verfügung standen. Der Rückgang der Gesamtvertragszahl ist zudem insbesondere auf die besondere Situation in den neuen Ländern zurückzuführen und stellt eine unmittelbare Folge der demografischen Entwicklung dar (neue Länder: Vertragszahl -7,4 %).
  • Trotz leichten Rückgangs der Gesamtvertragszahl kann erfreulicherweise eine leichte Steigerung der betrieblichen Ausbildungsvertragszahlen gegenüber dem Vorjahr (+0,1 %) festgestellt werden. Im Umkehrschluss konnte im Zuge des demografiebedingten Bewerberrückgangs in den neuen Bundesländern die Zahl öffentlich geförderter Ausbildungsplätze deutlich reduziert werden (-19,0 %). (…)
  • Die im Ausbildungspakt gemachten Zusagen der Wirtschaft sind trotz schwierigster Rahmenbedingungen wiederum deutlich übertroffen worden. So wurden wieder über 70.000 neue Ausbildungsplätze von den Kammern und Verbänden eingeworben, knapp 43.000 Betriebe konnten erstmalig für Ausbildung gewonnen werden, und für Einstiegsqualifizierungen (EQ) stellten die Betriebe über 29.000 Plätze zur Verfügung.
  • Die Zahl der bei den Arbeitsagenturen unvermittelt gemeldeten Bewerber hat sich im Vergleich zum Vorjahr nochmals reduziert. Bis zum Ende der Nachvermittlung konnten die Paktpartner die Anzahl auf 5.800 unversorgte Bewerber reduzieren (Januar 2010: 8.100). Ihnen standen noch ausreichend Angebote zur Verfügung, darunter knapp 10.000 unbesetzte EQ-Plätze. (…)

Neustrukturierung des Übergangssystems

Die Vertreter der Arbeitgeber im Hauptausschuss des BIBB stimmen mit der Bundesregierung überein, dass es gemeinsames Ziel sein muss, Übergänge in Ausbildung zu optimieren. Jeder Jugendliche soll möglichst zum Berufsabschluss geführt werden. Grundsätzlich ist es dabei die Aufgabe der Schule, Ausbildungsreife sicherzustellen und damit die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Übergang zu schaffen. Wo dies aber nicht gelingt, muss es ein transparentes und kohärentes Übergangssystem zwischen Schule und Ausbildung geben. (…)

Es muss gelingen, junge Menschen, die mit einem mangelhaften Leistungsprofil die Schule verlassen, schneller und gezielter fit für die Ausbildung zu machen.

Vor diesem Hintergrund haben die Paktpartner bei der Fortschreibung des Ausbildungspakts 2010-2014 beschlossen, verstärkt auch solche Jugendliche in den Blick zu nehmen, die bisher Schwierigkeiten beim Übergang in Ausbildung hatten. Speziell für förderungsbedürftige Jugendliche sollen Einstiegsqualifizierungen bereitgestellt werden und mit gezielten Unterstützungsmaßnahmen wie zum Beispiel ausbildungsbegleitenden Hilfen kombiniert werden (EQ Plus). Damit soll das bislang aufgrund einer hohen Übergangsquote sehr erfolgreiche Instrument der Einstiegsqualifizierungen für die entsprechende Zielgruppe weiterentwickelt werden.

Das Übergangssystem soll insgesamt neu strukturiert und effizienter gestaltet werden. Aus Sicht der Wirtschaft muss ein effizientes Übergangssystem präventiv ansetzen, die Instrumente müssen praxisnah ausgerichtet, Maßnahmen individuell und differenziert gestaltet und die Kompetenzen und Qualifizierungswege transparent gemacht werden. Hierzu ist ein Prozess nötig, der Maßnahmen des Übergangssystems koordiniert, wo nötig zusammenfasst und bündelt und sie optimal ausrichtet. Vor allem auf Landes- und regionaler Ebene ist hierzu eine enge Abstimmung erforderlich. Grundsätzlich sind aber alle Ebenen gefragt, Bund, Länder und kommunale Ebene sowie die verschiedenen relevanten Akteure wie insbesondere Politik, Arbeitsverwaltung, Wirtschaft, Schule, Jugendarbeit.

Durchlässigkeit im Bildungssystem herstellen

(…) Verbesserungen bei der Durchlässigkeit müssen aber alle Schnittstellen im Bildungssystem in den Blick nehmen. Die vielfältigen Initiativen, die seit einiger Zeit umgesetzt werden, müssen sorgfältig ausgewertet werden mit dem Ziel, Verbesserungen bei der Anschlussfähigkeit von Qualifizierungsprozessen und der Durchlässigkeit im System in Gang zu setzen. Dabei kommt es sehr wesentlich darauf an, die Transparenz der erworbenen Qualifikationen zu erhöhen und die Kompetenzen verlässlich zu validieren. Die kompetenzorientierte Gestaltung von Curricula und Prüfungen ist notwendig, um diese Aufgaben erfüllen zu können. (…)

Aus Sicht der Arbeitgebervertreter im BIBB-Hauptausschuss ist zentral, dass die aufnehmenden Institutionen des Bildungssystems beziehungsweise die Betriebe letztlich entscheiden, inwieweit sie Vor-Qualifikationen anerkennen und anrechnen. (…)“

C. Auszüge aus der Stellungnahme der Arbeitnehmer:

„(…) Den Übergang von der Schule in den Beruf erfolgreich gestalten

Eine gute Ausbildung ist die beste Voraussetzung, um sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten zu können. Wer eine gute Berufsausbildung abgeschlossen hat, wird seltener arbeitslos und kann sich auch im weiteren Lebensverlauf besser auf neue Anforderungen einstellen beziehungsweise sich aktiv weiterbilden.

Viele Jugendliche sind nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule auf Maßnahmen außerhalb der dualen Ausbildung angewiesen. Auch 2010 münden über 320.000 Jugendliche in die Ersatzmaßnahmen und Warteschleifen des so genannten „Übergangssystems“ ein. Betroffen sind eine erhebliche Zahl von Altbewerbern/Altbewerberinnen, Jugendliche mit Migrationshintergrund sowie sozial- und lernbeeinträchtigte Jugendliche.

Der Übergang von der Schule in den Beruf ist mit einer Fülle unterschiedlicher Maßnahmen für verschiedenste Zielgruppen zu einem überkomplexen und intransparenten System geworden. Ein tragfähiges, auf Langfristigkeit angelegtes Konzept ist nicht zu erkennen. Die Gewerkschaften schlagen daher vor, den Maßnahmendschungel zu lichten und den Übergang von der Schule in den Beruf zu systematisieren. (…)

  1. Die Berufsorientierung muss sich am individuellen Bedarf der Jugendlichen orientieren. Die Jugendlichen sollen sich frühzeitig mit ihren Stärken, Kompetenzen, beruflichen Plänen und ihren Chancen in der Berufs- und Arbeitswelt auseinandersetzen. Notwendig ist eine klare Aufgabenzuteilung zwischen Schulen, Betrieben, Bundesagentur und Trägern von Berufsbildungsmaßnahmen. Das System, nach dem alle alles machen, ist kostenträchtig, intransparent und ineffektiv. Untersuchungen belegen, dass dort, wo eine systematische Orientierung auf den Übergang Schule – Beruf stattfindet, die Vermittlung Jugendlicher nach der Schule wesentlich erfolgreicher ist. Der Ausbau der schulischen Berufsorientierung ist eine bildungspolitische und gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht von den Beitragszahlenden der Arbeitslosenversicherung finanziert, sondern mittelfristig ganz von den Ländern übernommen werden sollte. Sie muss in das Curriculum der Schulen eingebettet werden.
  2. Die Berufsberatung durch die BA darf nicht schematisch an „Kundentypen“ ausgerichtet werden. Im Zentrum einer ergebnisoffenen und sanktionsfreien Beratung muss das Individuum mit seinen Wünschen und Möglichkeiten stehen. (…)
  3. Allen Jugendlichen in der Berufsvorbereitung muss ein Anschluss in eine vollqualifizierende Ausbildung eröffnet werden. Die Länder und die allgemeinbildenden Schulen müssen ihrer Pflicht zur Vermittlung von berufsqualifizierenden Abschlüssen endlich gerecht werden.Die Zahl der Schulabbrecher muss mit verbindlichen Vorgaben drastisch reduziert werden. Berufsvorbereitende Maßnahmen müssen von ihren Inhalten her so ausgestaltet werden, dass sie ausbildungsrelevante Kompetenzen vermitteln, die dann auch auf die nachfolgende Berufsausbildung angerechnet werden können. Jugendliche, die nur aufgrund mangelnder Ausbildungsangebote keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, benötigen keine berufsvorbereitenden Maßnahmen (BvB) und keine Einstiegsqualifizierung (EQ). Sie sollten spätestens sechs Monate nach Beginn des Ausbildungsjahres einen Rechtsanspruch auf eine außerbetriebliche Ausbildung erhalten.
  4. (…)
  5. Für die Ausbildungsvermittlung aller Jugendlicher (also auch der Hartz IV-Empfänger) soll ausschließlich die Arbeitslosenversicherung zuständig sein. Damit könnte das bestehende Zwei-Klassen-System bei der Betreuung von ausbildungssuchenden Jugendlichen überwunden werden. Kinder und Jugendliche werden je nach Einkommenssituation ihrer Eltern von verschiedenen staatlichen Stellen unterschiedlich behandelt. Jugendliche, die aufgrund der Bedürftigkeit ihrer Familien Hartz IV benötigen, sind bisher bei der Ausbildungssuche benachteiligt. (…)
  6. Ein nicht unerheblicher Teil der Übergangsmaßnahmen weist nur wenig Anschlussfähigkeit und Arbeitsmarktakzeptanz im Vergleich zu einer traditionellen Berufsausbildung auf. Der Erfolg dieser Maßnahmen ist zweifelhaft. Hinzu kommt, dass auch Arbeitsgelegenheiten, sogenannte Ein-Euro-Jobs, bei unter 25-Jährigen viel zu häufig eingesetzt werden. Ein-Euro-Jobs wirken kontraproduktiv, da sie die Chancen der Jugendlichen auf reguläre Ausbildung oder Beschäftigung oftmals verschlechtern. Im Sozialgesetzbuch (SGB) II muss eine rechtliche Klarstellung erfolgen, dass junge Menschen ohne Berufsabschluss vorrangig in Ausbildung zu vermitteln sind.
  7. (…)
  8. Notwendig ist eine Verzahnung der Akteure an den jeweiligen Schnittstellen Schule/Beruf/Arbeitsleben, um durch eine Begleitung in den Phasen des Übergangs Stärken gezielt zu fördern und Schwächen sofort zu erkennen, um gezielt sozialpädagogische Begleitung anzubieten. Durch den Einsatz von Mentoren oder einer diesbezüglichen Qualifizierung der vorhandenen Akteure an den Schnittstellen für diese Funktion wird auch eine Nachhaltigkeit im gesamten Bildungsprozess gesichert. (…)“

Der Berufsbildungsbericht 2011 wird im April durch das Bundeskabinett verabschiedet und anschließend vom BMBF veröffentlicht. Der BIBB-Hauptausschuss nimmt zu einem Entwurf bereits im Vorfeld der Veröffentlichung Stellung. Neben einer gemeinsamen Stellungnahme äußerten sich die Beauftragten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer jeweils eigenständig.

Der Berufsbildungsbericht besteht seit 2009 aus zwei Teilen. Einem vom BMBF zu verantwortenden politischen Teil, zu dem das BIBB-Gremien Stellung bezog, und einem Datenreport, der Informationen und Analysen zur Entwicklung in der beruflichen Bildung enthält. Der Datenreport wird eigenverantwortlich vom BIBB herausgegeben. Er erscheint ebenfalls im April.

Quelle: BIBB

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