Der neue §16h im SGB II – Eine gute Grundlage für rechtskreisübergreifende Kooperation

Die Bundesregierung plant Änderungen des SGB II, die aus ihrer Sicht zu einer Rechtsvereinfachung führen. Von vielen Seiten gibt es Kritik daran. Doch in der Kabinettsvorlage für den Gesetzentwurf ist ein Änderung enthalten, die der Paritätische Gesamtverband ausdrücklich begrüßt. Neu eingefügt in den Gesetzentwurf wurde § 16h „Förderung schwer zu erreichender junger Menschen“. Diese Änderung eröffnet eine rechtskreisübergreifende Kooperation. Es wird ein neuer Fördertatbestand in das SGB II aufgenommen. Die schwer erreichbaren, vom System entkoppelten Jugendlichen erfahren damit besondere Aufmerksamkeit. Zur Sicherstellung der finanziellen Ausstattung schlägt der Paritätische einen gesonderten Titel für den §16h SGB II im Einzelplan 11 vor.

§ 16h SGB II
(1) Für Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, kann die Agentur für Arbeit Leistungen erbringen mit dem Ziel, die aufgrund der individuellen Situation der Leistungsberechtigten bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden, 1. eine schulische, ausbildungsbezogene und berufliche Qualifikation abzuschließen oder anders in Arbeitsleben einzumünden und 2. Sozialleistungen zu beantragen oder anzunehmen.

Die Förderung umfasst zusätzliche Betreuungs- und Unterstützungsleistungen mit dem Ziel, dass Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in Anspruch genommen werden, erforderliche therapeutische Behandlungen eingeleitet werden und an Regelangebote dieses Buches zur Aktivierung und Stabilisierung und eine frühzeitige intensive berufsorientierente Förderung herangeführt wird.

(2) Leistungen nach Absatz 1 können erbracht werden, wenn die Voraussetzungen der Leistungsberechtigung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen oder zu erwarten sind oder eine Leistungsberechtigung dem Grunde nach besteht. Einer Leistung nach Absatz 1 steht eine fehlende Antragstellung der leistungsberechtigten Person nicht entgegen.

(3) Über die Leistungserbringung stimmen sich Agentur für Arbeit und der örtlich zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe ab.

(4) Träger bedürfen einer Zulassung nach dem Fünften Kapitel des Dritten Buches um Maßnahmen nach Absatz 1 durchzuführen.

(5) Zuwendungen sind nach Maßgabe der §§23 und 44 der Bundeshaushaltsordnung zulässig.

Auszüge aus einem Kommentar des Paritätischen zur Einfügung des neuen §16h „Förderung schwer zu erreichender junger Menschen“ in das SGB II:

Förderung soll in der individuellen Situation bestehende Schwierigkeiten zu überwinden helfen

„Mit dem § 16h SGB II wird ein neuer Fördertatbestand im SGB II aufgenommen, der sich an die Zielgruppe der schwer zu erreichenden jungen Menschen unter 25 Jahren richtet. Erreicht werden sollen auch junge Menschen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Ansprüche an das SGB II hätten. Diesen jungen Menschen, die von den Angeboten der Sozialleistungssysteme derzeit mindestens zeitweise nicht erreicht werden, sollen passgenaue Betreuungs- und Unterstützungsleistungen angeboten werden. Ziel der Förderung soll es sein, diese jungen Menschen den Regelangeboten zur Aktivierung und Stabilisierung und zur intensiven Berufsorientierung des SGB II zuzuführen, aber auch therapeutische Behandlungen einzuleiten und Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu beantragen. Mit dieser Förderung soll es gelingen, die in der individuellen Situation der (potentiellen) Leistungsberechtigten bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden, eine schulische und/oder berufliche Qualifikation abzuschließen bzw. in das Arbeitsleben einzumünden und/oder Sozialleistungen zu beantragen oder anzunehmen.

Die Leistungen sollen dann nachrangig gegenüber den Angeboten des SGB VIII (insbesondere der Jugendsozialarbeit) sein, wenn der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Art und Umfang gleichartige Leistungen tatsächlich erbringt. (…) Durchführende Träger dieser Leistungen müssen nach AZAV zertifiziert sein und für den Fachbereich „Maßnahmen der Aktivierung und beruflichen Eingliederung (§ 45 SGB III)“ oder für den Fachbereich „Maßnahmen zur Berufswahl und Berufsausbildung“ (Dritter Abschnitt des Dritten Kapitel SGB III) zugelassen sein. Die Förderung kann auch in Form einer langfristig angelegten, aber zeitlich befristeten Projektförderung über das Zuwendungsrecht erfolgen.“

Endlich wird die Zielgruppe der schwer erreichbaren Jugendlichen in den Blick genommen…

„Bewertung:
Es ist begrüßenswert, dass sich die Sozialgesetzgebung endlich der Zielgruppe der schwer erreichbaren, vom System entkoppelten Jugendlichen und jungen Erwachsenen zuwendet. (…) Schon lange hat die Fachöffentlichkeit gefordert, die chancenarmen jungen Menschen an der Schnittstelle zwischen Jugendhilfe und Arbeitsförderung in den Blick zu nehmen und jugendgerecht zu fördern. Insofern ist es ausgesprochen positiv zu werten, dass das SGB II sich nun dieser Zielgruppe im neuen § 16h angenommen hat. Hilfreich wäre es, wenn in der Begründung des Gesetzesvorhaben klar gestellt würde, dass auch die jungen Menschen unter 25 Jahren erreicht werden sollen, die in Folge von Sanktionen ihre finanzielle Lebensgrundlage verlieren und den Kontakt zum Jobcenter abgebrochen haben.

Dass die Zielgruppendefinition die Förderung von jungen Menschen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit SGB II Ansprüche aus dem hätten, zulässt, ermöglicht aufsuchende Arbeitsansätze und niedrigschwellige Unterstützungsangebote, wie sie auch in der Jugendhilfe üblich sind und geht weit über die bisherige Zuständigkeit des SGB II hinaus. Damit wird mit dem neuen Förderansatz der Fachdiskussion um jugendgerechte Förderansätze am Übergang Schule Beruf auch im SGB II Rechnung getragen. Es bleibt zu hoffen, dass die juristische Formulierung im Absatz 2 hier klar genug gewählt ist, um eine eindeutige Zuständigkeit des SGB II-Trägers für diese Zielgruppe auch ableiten zu können und damit der § 16h SGB II auch zur Anwendung kommen wird. (…)“

Maßgeblicher Schritt in die Richtung einer fachlich neu orientierten Zusammenarbeit von Jobcentern und Jugendhilfeträgern

„Die mit diesen niedrigschwelligen Hilfen angestrebte Zielsetzung, die jungen Menschen in einer schwierigen Lebenslage zu unterstützen und sie (zurück) auf den Weg in Bildungsprozesse, Maßnahmen der Arbeitsförderung, Ausbildung oder Arbeit holen, entspricht aus unserer Sicht der Zielsetzung der rechtskreisübergreifenden Arbeit in Jugendberufsagenturen, und stellt einen maßgeblichen Schritt in die Richtung einer fachlich neu orientierten Zusammenarbeit von Jobcentern und öffentlichen Jugendhilfeträgern vor Ort da. Die Klarstellung, dass zwar die Jugendhilfe (SGB VIII, insbesondere §13) der vorrangige Leistungserbringer ist, aber nur im Falle einer tatsächlich erbrachten vergleichbaren Leistung von der Förderung über den § 16h SGB II Abstand genommen werden soll, stellt eine praktikable Regelung dar. (…) Dass hier ausdrücklich (langfristige) Projektförderung mit Zuwendungsrecht ermöglicht wird, eröffnet auch einer wünschenswerten rechtskreisübergreifenden Finanzierung und Gestaltung der Förderung neue Chancen. Es bleibt zu wünschen, dass die finanzielle Ausstattung der Jobcenter diese Leistungserbringung auch ermöglicht und diese Zielgruppe endlich erreicht und unterstützt wird. Zur Sicherstellung der finanziellen Ausstattung sollte im Einzelplan 11 ein gesonderter Titel für den § 16h SGB II eingeführt werden.“

AZAV-Zertifizierung oder „Freie Förderung“ à la § 16f?

„Die Anforderung an die durchführenden Träger, nach AZAV als Träger für Aktivierungsmaßnahmen (§ 45 SGB III) oder Berufswahl- und Berufsausbildungsmaßnahmen zugelassen zu sein, ist zwar aus Sicht der Arbeitsförderung nachvollziehbar, aber aus dem Inhalt der Förderung nicht ableitbar. Handelt es sich doch hier nicht um typische Bildungsmaßnahmen, sondern in der Regel um aufsuchende, individualisierte Unterstützungs- und Beratungsangebote. (…) In Anlehnung an den § 16f „Freie Förderung“ sollte von einer gesetzlichen Zulassung von Trägern im neuen § 16h SGB II abgesehen werden. Gefragt sind hier die in den Netzwerken der Jugendhilfe, im Gesundheitswesen und im Sozialraum verankerten Träger der Jugendsozialarbeit. So schlagen wir vor, den Absatz (4) zu ersetzen mit:
„Träger sollen anerkannte Träger der Jugendhilfe sein, die in den regionalen Netzwerken der Jugendhilfe, des Gesundheitswesens und der Sozialen Arbeit vor Ort nachhaltig eingebunden sind“. (…)

Das mit dem § 16h verbundene Ziel, schwer zu erreichenden jungen Menschen, die von den Angeboten der Sozialleistungssysteme derzeit nicht erreicht werden, passgenaue Hilfen anzubieten, wurde schon mit dem Pilotprogramm „Respekt“ des Bundesarbeitsministeriums verfolgt. (…) Damit die Erkenntnisse des Pilotprogramm „Respekt“ zur Umsetzung des § 16h SGB II nutzbar gemacht werden können, sollten die Erfahrungen bundesweit ausgewertet werden und die Ergebnisse allen Jobcentern vor Ort und potentiellen Trägern zeitschnell zugänglich gemacht werden.“

Quelle: Paritätischer Gesamtverband

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