Keine Ahnung und davon viel – Schüler wissen nicht, was sie werden sollen

Nur gut die Hälfte der Schüler in Deutschland (56 Prozent) fühlt sich ausreichend über ihre beruflichen Möglichkeiten informiert. Von denen, die Informationsdefizite beklagen, geben 54 Prozent an, nicht zu wissen, welche Berufe gute Zukunftsaussichten bieten. Gleichzeitig rangiert die Zukunftsbranche des IT- und Computersektors auf dem letzten Platz der von Schülern benannten Traumberufe. Dies ermittelte das Institut für Demoskopie Allensbach im Rahmen einer Studie im Auftrag der Vodafone Stiftung, für die Schüler und Eltern in Deutschland befragt wurden. Mehr als die Hälfte der Sekundarschüler gibt an, dass ihnen ganz grundlegende Informationen dazu fehlen, welche Ausbildungswege es überhaupt gibt.

Unwissen und Unzufriedenheit auf der Suche nach Orientierung

Besonders auffällig ist, dass die umfassenden Angebote der Agentur für Arbeit von Schülern kaum genutzt werden. Lediglich 25 Prozent der Schüler haben sich bisher dort informiert. Wiederum für nur rund ein Drittel von diesen war dies hilfreich (32 Prozent). Ebenso skeptisch werden Internetangebote beurteilt. Nur gut ein Drittel derer, die sich online informierten, fanden dort gute Informationsangebote (36 Prozent). Auch bei der Berufsorientierung zeigt sich die enge Verknüpfung von sozialer Herkunft und Bildungs- und Zukunftschancen in Deutschland. Denn obgleich fast die Hälfte der Schüler, unabhängig von der besuchten Schulart, angibt, dass ihnen die Berufswahl schwer fällt (46 Prozent), und die Berufsorientierung damit eine grundsätzliche Herausforderung für junge Menschen darstellt, wünschen sich doppelt so viele Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern ein Mehr an Unterstützung bei der Ausbildungs- und Berufsorientierung als Kinder aus Akademikerhaushalten.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie „Schule, und dann?“ im Überblick:

„(…) Schüler haben anspruchsvolle Zukunftsziele

Gut 60% der Schüler freuen sich auf die Zeit nach der Schule. Für die überwiegende Mehrheit (87%) ist es besonders wichtig, einen Beruf zu haben, der ihnen Spaß macht; dies ist mehr Schülern wichtig als ein gutes Einkommen und ein sicherer Arbeitsplatz. (…)

Unsicherheit und Sorgen dominieren bei vielen Schülern

Mehr als jeder vierte Schüler macht sich Sorgen, wie es nach der Schule beruflich weitergeht; bei Kindern von Alleinerziehenden ist es sogar fast jeder zweite. Zudem gibt, unabhängig von der besuchten Schulart, fast die Hälfte der Schüler an, dass ihnen die Berufswahl schwer fällt. Nur knapp ein Drittel der Schüler hat eine konkrete Vorstellung zu ihrer beruflichen Zukunft, während 20% noch gar keine Vorstellung haben.

Traditionelle Rollenmuster dominiere

Die beruflichen Pläne von Jungen und Mädchen unterscheiden sich erheblich und entsprechend weitgehend tradierten Rollenmustern. Männliche Schüler bevorzugen weit häufiger technische und handwerkliche Berufe. Schülerinnen streben vor allem Berufe im medizinischen und sozialen Bereich an. Auch künstlerische, gestaltende Berufe, eine Tätigkeit als Lehrer oder in einem Bereich, in dem man mit Tieren zu tun hat, sind für Mädchen weitaus reizvoller als für Jungen. Diese Rollenbilder werden von den Vorstellungen der Eltern im Wesentlichen mitgetragen. (…)

Gravierende Informationsdefizite in der Ausbildungs- und Berufsorientierung

Mehr als ein Drittel (35%) der Schüler beklagt ausdrücklich Informationsdefizite bezüglich ihrer beruflichen Möglichkeiten. (…)

Eltern spielen eine zentrale Rolle bei der Ausbildungs- und Berufsorientierung

Knapp zwei Drittel der Eltern empfinden es als selbstverständlich, sich bei der Berufsorientierung ihrer Kinder einzubringen, auch wenn sie ihren Einfluss auf die Berufswahl als eher gering einschätzen. 75% der Schüler wünschen sich die Unterstützung Ihres Vaters, 85% die Hilfe der Mutter. (…)

Eingeschränkte soziale Mobilität

Die elterlichen Vorstellungen über den weiteren Ausbildungsweg ihres Kindes hängt eng mit dem eigenen Bildungshintergrund zusammen: Eltern mit höherer Schulbildung wünschen sich weitaus häufiger, dass ihre Kinder einmal studieren. Eltern aus einfachen Bildungsschichten sprechen sich mit klarer Mehrheit für eine betriebliche Ausbildung aus. Zudem möchten Eltern aus sozial höheren Schichten, dass ihr Kind darauf achtet einen abwechslungsreichen und anspruchsvollen Beruf zu wählen, der eigenverantwortliches Arbeiten erfordert. Für Eltern aus schwächeren sozialen Schichten ist es deutlich wichtiger, dass ihr Kind viel praktisch arbeiten kann und bereits während der Ausbildungsphase finanziell möglichst unabhängig ist. (…)

Eltern aus sozial schwächeren Schichten fällt die Unterstützung ihrer Kinder schwerer

Eltern mit einfachem Bildungsabschluss sowie alleinerziehende Elternteile beklagen überdurchschnittlich häufig, dass sie ihr Kind nicht im gewünschten Ausmaß bei der Ausbildungs- und Berufswahl unterstützen können. Gleichzeitig wünschen sich Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern sowie diejenigen, die nur bei einem Elternteil leben, häufiger mehr Hilfe bei der Berufsorientierung. (…)“

Jugendforscher sieht soziale Mobilität blockiert

Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann kommentierte die Studie. Für ihn ist der belegte Schulterschluss der Generation eine Gefahr. Soziale Mobilität würde blockiert, und es bilde sich eine neue Form der Schlichtung heraus. Auszüge aus dem Kommentar „Berufsorientierung als familiäre und gesellschaftliche Herausforderung“:

„(…) Hohe Erwartungen und Ansprüche an die Berufstätigkeit

Die vorliegende Studie wirft ein interessantes Schlaglicht auf diese Entwicklungen, indem sie die Perspektive zweier wichtiger Akteure einnimmt: Die der jungen Leute selbst, die in Kürze in die Statuspassage zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem eintreten, und die ihrer Eltern, die zu einem großen Teil im Beschäftigungssystem tätig sind. Wie die Ergebnisse zeigen, ist der Übergang in den Beruf bei den meisten jungen Leuten sozial und emotional positiv besetzt. (…)

Die unveränderte Schlüsselrolle der Eltern

(…) Die vorliegende Studie zeigt deutlich: Bei der biografisch so wichtigen Frage nach der Berufsorientierung suchen die Jugendlichen den Schulterschluss mit ihren Eltern. Und umgekehrt sind diese daran interessiert, ihre Kinder emotional und sozial so weit wie möglich zu unterstützen. Die große Mehrheit der jungen Leute kommt offenbar aus diesem Grund mit der Herausforderung der Berufsorientierung recht gut zurecht. Aber Vorsicht: Unter der optimistisch stimmenden Oberfläche positiver Einschätzungen der Jugendlichen und ihrer Eltern sind einige Unsicherheiten und Irritationen nicht zu übersehen. Nur die Hälfte der befragten jungen Leute fühlt sich richtig gut über die beruflichen Chancen informiert und sieht sich gerüstet, die Berufswahl kompetent vorzubereiten und durchzustehen. Ein Fünftel ist ratlos und überfordert. Viele klagen über ein Defizit an systematischer Auf klärung und Information, vor allem aus dem schulischen Bereich, in dem sie sich durch die Lehrkräfte und durch kooperierende Fachleute der Berufsberatung viel mehr professionelle Beratung und Unterstützung wünschen als sie heute tatsächlich erhalten. (…)

So positiv also die große Mehrheit der jungen Leute dem Übergang in den Beruf gegenübersteht: Eine für die Lebensgestaltung derart wichtige und auch emotional bedeutsame Entscheidung wie Berufsorientierung und Berufswahl bringt einen großen Teil der jungen Leute an den Rand der Überforderung, auch wenn sie sich das nicht gerne anmerken lassen. Dass sie ihren eigenen Eltern eine Schlüsselrolle der Begleitung und Beratung einräumen, ist eine hohe Anerkennung der Eltern. Aber es stellt die Eltern auch vor unlösbare Probleme. Bei allem Respekt vor der ungeheuren Leistung der Eltern: Sie können zwar die besten, weil vertrauten, einfühlsamen und sensiblen Unterstützer ihrer eigenen Kinder sein. Aber naturgemäß können sie nicht zugleich auch die notwendige Kompetenz und das Detailwissen aufbringen, die für eine solche verantwortungsvolle und komplexe Aufgabe unbedingt vorhanden sein müssen. (…)

Sachlich und inhaltlich sind die Eltern ebenso überfordert wie ein großer Teil der Jugendlichen. Laufen sehr schnelle und heftige berufliche Modernisierungsprozess ab, und kommt es zu neuartigen beruflichen Anforderungen – und beides ist zweifellos seit vielen Jahren der Fall – dann kann die Vorabinformation durch die Eltern nicht mehr ausreichend sein. (…)

Die Ungleichheit der Sozial- und der Schulwelten

(…) Auffällig ist die Zweiteilung der Informationslage zwischen den Schülerinnen und Schülern an Gymnasien und denen an Sekundarschulen, worunter in dieser Studie Hauptschulen, Realschulen und andere Schulformen ohne eine eigene gymnasiale Oberstufe zusammengefasst werden. Wie die Studie zeigt, leben die jungen Leute in Deutschland in zwei getrennten Schulwelten und das wirkt sich auf ihre Berufsorientierung aus. Unsicherheiten und Informationsdefizite häufen sich bei den jungen Leuten an den Sekundarschulen. An ihnen sammeln sich nach wie vor die Schülerinnen und Schüler aus den sozial und ökonomisch eher benachteiligten Elternhäusern. Bei den Jugendlichen an den Gymnasien treten solche Unsicherheiten sehr viel weniger auf. Hier finden sich viele Jugendliche aus sozial privilegierten Elternhäusern, deren Eltern selbst auch überwiegend einen hohen Bildungsabschluss erworben haben. (…) Vor allem in den Sekundarschulen klagen sowohl die jungen Leute selbst als auch deren Eltern über einen großen Mangel an Information; sie fühlen sich unsicher und schlecht informiert. (…)

Die Kehrseite der Generationenallianz: Blockierung der sozialen Mobilität?

Damit sind wir bei der Kehrseite der in der vorliegenden Studie aufgedeckten engen Allianz zwischen der jungen Generation und ihren Eltern. So wertvoll sie ist, wirkt sich die Unterstützung in soziologischer Perspektive ungünstig im Blick auf die soziale Mobilität aus. Der Schulterschluss zwischen Eltern und Kindern sorgt nämlich unbeabsichtigt und unfreiwillig für eine Fortsetzung sozialer Ungleichheit von einer Generation zur nächsten. (…) Zwar wählen die Kinder wegen des stark veränderten beruflichen Spektrums nur zu einem kleinen Teil genau die Berufe, die ihre Eltern innehaben. Aber im Blick auf den sozialen Status setzen sich die sozialen Unterschiede von einer Generation zur nächsten fort. (…)

Eigentlich sollten in einer demokratischen Gesellschaft der Bildungsgrad und die Höhe der Qualifikation die einzig entscheidenden Kriterien sein, um den Erfolg in der beruflichen Laufbahn zu bestimmen. Der Einfluss der familiären Herkunft sollte demgegenüber an Bedeutung zurücktreten. Auf lange Sicht könnte man dann annehmen, dass durch einen Anstieg der Bildung und der Qualifikation auch die Ungleichheit zurückgeht, die heute immer noch mit der sozialen Herkunft zusammenhängt. Aber: Viele Studien der letzten Jahre haben bereits deutlich gemacht, dass die Realität eine andere ist. Die soziale Herkunft ist nach wie vor von Bedeutung und gewinnt möglicherweise sogar wieder an Einfluss. (…)

So demonstriert auch die vorliegende Studie: Die soziale Herkunft bleibt eine wichtige Determinante für die Berufsorientierung und in der Folge dann auch für die beruflichen Laufbahnen. Es scheint so, dass sich neue Formen der Schichtung herausbilden, also neue Mechanismen der Entwicklung von Ungleichheiten. Ein solcher Mechanismus besteht darin, dass heute eine Mindestschwelle des Bildungsgrades und der Qualifikation erreicht sein muss, wenn man überhaupt Zugang zum Ausbildungsmarkt und zum Arbeitsmarkt erhalten möchte. Wer keinen Schulabschluss oder nur einen schwachen Schulabschluss erreicht hat, kann diese Hürde oft nicht nehmen. Im Gegensatz zur Elterngeneration kommt es bei der jungen Generation deshalb vor, dass man mit einem Mindestniveau an Qualifikation viel ungünstiger im Blick auf die berufliche Karriere dasteht. (…)

Die über die eigentlichen fachlichen Leistungen hinausgehenden „informellen“ Qualifikationen sind wahrscheinlich nicht so sehr in den technischen Berufen von Bedeutung, sondern vor allem in den kommunikativen Berufen und denen im sozialen Bereich. Da insgesamt diese Berufe aus dem Dienstleistungs- und dem Kommunikationssektor an Umfang zunehmen, nimmt also die Bedeutung von außerinstitutionellen Signalen und Informationen zu. Für alle Berufe, die mit Menschen und sozialen Kontakten zu tun haben, zählen die sozialen Kompetenzen, der gesamte Lebensstil und die Art und Weise der Lebensführung mitunter genauso stark wie die fachlichen und kognitiven, und die wiederum hängen eng mit den Impulsen zusammen, die ein Bewerber aus dem Elternhaus erhält.

Wer aus den unteren sozialen Schichten stammt, hat es aus diesen Gründen nach wie vor ganz besonders schwer, in diese innovativen und immer wichtiger werdenden beruflichen Sektoren hineinzukommen. Die Chancen, in einen technischen Beruf eintreten zu können, sind hingegen größer, weil hier stärker nur das formale Abschlusszeugnis zählt und dem Spektrum der sozialen Qualifikationen eine nicht ganz so große Bedeutung zukommt. In den Dienstleistungsberufen hingegen wird im Zweifelsfall der Bewerber aus einer höheren sozialen Schicht genommen, der vielleicht das gleich gute Abschlusszeugnis hat wie der aus einer niedrigeren sozialen Schicht, aber eben das zusätzliche soziale und kulturelle Kapital mitbringt, das ein Unternehmen für das Ausfüllen einer Dienstleistungsposition für besonders wichtig hält. (…)“

Quelle: Vodafon Stiftung

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